Der Braunkohlentagebau Garzweiler II ist seit Jahrzehnten heftig umstritten. Die ersten Pläne gehen auf die 1950er Jahre zurück, bereits 1987 begann das offizielle Genehmigungsverfahren. Der Braunkohlenplan Garzweiler II wurde von der damaligen SPD-Alleinregierung im März 1995 genehmigt. Die bergrechtliche Erlaubnis (Rahmenbetriebsplan Garzweiler I/II) wurde im Dezember 1997 erteilt. Das führte zu einem langandauernden Rechtsstreit, da sich der BUND sowohl gegen diese Zulassung als auch gegen die Zwangsenteignung seiner Obstwiese juristisch zur Wehr setzte. Im Dezember 2013 gab das Bundesverfassungsgericht der BUND-Beschwerde statt.
Trotzdem wird weitergebaggert. Nach den ursprünglichen Plänen sollten 48 km2 Natur und Landschaft zerstört werden, 7.600 Menschen ihre Heimat verlieren, der Grundwasserhaushalt des Niederrheins für Jahrhunderte beeinträchtigt werden. Im März 2014 hat die Landesregierung allerdings angekündigt, den Tagebau um etwa ein Viertel zu verkleinern. Die Ortschaft Holzweiler und einige Weiler sollen jetzt verschont bleiben. Näheres soll in einem Braunkohlenplanänderungsverfahren geregelt werden. Im Juli 2016 hat das Landeskabinett die Verkleinerung des Tagebaus per Beschluss bestätigt und eine neue Leitentscheidung verabschiedet - es war die dritte seit 1987.
Nach der Verabschiedung des Kohleverstromungsbeeendigungsgesetzes 2020 wurde eine neue Leitentscheidung zur Braunkohlenpolitik notwendig. Der BUND kämpft gemeinsam mit den Tagebaubetroffenen um den Erhalt der Garzweiler-Dörfer im 3. Umsiedlungsabschnitt. Denn der Tagebau bleibt nicht nur klimaschutzpolitisch verheerend, sondern energiewirtschaftlich überflüssig. Zahlreiche Gutachten haben nachgewiesen, dass auch ohne Garzweiler II die Lichter nicht ausgehen. Soll das Pariser 1,5 Grad-Limit eingehalten werden, dürfen nach einer DIW-Studie nur noch 70 Millionen Tonnen Braunkohle in Garzweiler gefördert werden. Das aber heißt, dass auch Lützerath hätte erhalten werden müssen.
Am 4. Oktober 2022 einigten sich das Land NRW, vertreten durch die Energieministerin Mona Neubaur, das Bundeswirtschaftsministerium und die RWE AG auf einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030. Die ohne Beteiligung der Öffentlichkeit oder des Parlaments ausgehandelte Vereinbarung sieht die weitere Förderung von bis zu 280 Millionen Tonnen Braunkohle vor. Dafür sollen die fünf Dörfer des 3. Umsiedlungsabschnitts und die "Holzweiler Höfe" erhalten bleiben. Ohne alle möglichen alternativen Tagebauszenarien zu betrachten wurde mit dem "RWE-Deal" auch der Weg frei gemacht, den Weiler Lützerath zu zerstören. Am 8. Dezember 2022 genehmigte die Bezirksregierung Arnsberg den RWE-Antrag auf Zulassung eines Hauptbetriebsplans von 2023 bis 2025. Die verantwortliche Energieministerin nutzte nicht die Möglichkeit, den Tagebau weiter räumlich und zeitlich zu beschränken.
Anfang Januar 2023 wurde trotz der Massenproteste mit der Zerstörung Lützeraths begonnen und wenig später war diese abgeschlossen. Im August 2023 kappte RWE mit der Landstraße L12 auch die wichtige Verkehrsverbindung zwischen Holzweiler und Keyenberg.
Mit der 5. Leitentscheidung zur Braunkohle wurde die RWE-Vereinbarung im September 2023 umgesetzt. Jetzt muss der Braunkohlenplan Garzweiler II entsprechend geändert werden.
Tagebau Garzweiler und Klimaschutz
Braunkohle ist derjenige fossile Brennstoff mit der größten Klimaunverträglichkeit. Aufgrund des hohen Wassergehalts und des vergleichsweise geringen Brennwerts erreichen die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid bei der Verbrennung der Braunkohle Höchstwerte: Pro Tonne eingesetzter Braunkohle entsteht eine Tonne Kohlendioxid. Wegen des geringen Wirkungsgrades der Braunkohlenkraftwerke wird der Großteil der in der Kohle enthaltenen Energie ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben. Das bisherige Konzept der zentralen Großkraftwerke in Tagebaunähe schließt eine Abwärmenutzung weitestgehend aus.
Die RWE Power AG hatte ursprünglich die Genehmigung, im Tagebau Garzweiler II bis zum Jahre 2045 jährlich bis zu 40 Millionen Tonnen Kohle fördern. Diese Kohle wurde jahrzehntelang ausschließlich in den Kraftwerken Frimmersdorf und Neurath zur Stromproduktion eingesetzt. Mehr als 13 % der nordrhein-westfälischen Treibhausgasemissionen ginge lange Jahre auf das Konto von Garzweiler II. Mit der Inbetriebnahme der BoA-Blöcke 2 und 3 in Neurath im August 2012 hat dieses Kraftwerk mit einem Ausstoß von bis zu 32 Mio. t CO2 pro Jahr das Kraftwerk Niederaußem als "Klimakiller Nr. 1 in Deutschland" abgelöst. In 2022 emittierte das Kraftwerk Neurath noch immer 24,22 Mio. t CO2.
Mit dem 2020 beschlossenen Kohleausstieg und der neuen Braunkohle-Leitentscheidung besteht die Chance, den Tagebau auf ein klimaschutzverträgliches Maß zu reduzieren. Doch RWE beharrte weiter darauf, bis 2038 weitere 670 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Abbaufeld Garzweiler II zu fördern. Nach der Vereinbarung zwischen RWE, Bund und Land im Oktober 2022 wird der Tagebau jetzt weiter verkleinert und der Ausstieg auf 2030/2033 vorgezogen. Jetzt sollen noch etwa 280 Millionen Tonnen Kohle gefördert werden und damit ein Vielfaches dessen, was uns auf einen 1,5 Grad kompatiblen Pfad bringen würde.
Tagebau Garzweiler und Grundwasser
Die Gewinnung der Braunkohle im Tagebaubetrieb ist mit einer großflächigen Absenkung des Grundwassers ("Sümpfung") verbunden. Mit "Garzweiler II" wird der Grundwasserlandschaft des Niederrheins - und damit dem wichtigsten Trinkwasserreservegebiet Nordrhein-Westfalens - ein weiterer irreparabler Schaden zugefügt.
Schon jetzt sind die Schäden durch den Tagebau Garzweiler irreversibel - Trinkwasserbunnen fallen dauerhaft trocken, Grundwassereinzugsgebiete verändern sich, ganze Grundwasserlandschaften werden zerstört.
Die "Garzweiler II"-Erlaubnisse sehen die jährliche Sümpfung von bis zu 155 Mio. m3 Wasser vor - und das bis zum Jahre 2045. Hunderte so genannter Sümpfungsbrunnen fördern das Grundwasser aus bis zu 200 Metern Tiefe. Im Jahr 2021 wurden zur Trockenlegung des Tagebaus etwa 114 Millionen Kubikmeter Grundwasser gehoben.
Mit dem Auslaufen der wasserrechtlichen Erlaubnis Ende 2023 wurde eine neue Sümpfungserlaubnis notwendig. Diese wurde am 14.12.2023 befristet bis 2030 erteilt und sieht eine Entnahmemenge von bis zu 120 Mio. m3 pro Jahr vor (Erlaubnisbescheid vom 14.12.2023).
Feuchtgebiete "am Tropf"
Der Raubbau an unserem Grundwasser hat gravierende Folgen: Nicht nur der natürliche Grundwasserhaushalt wird für Jahrhunderte zerstört, auch grundwasserabhängige Feuchtgebiete werden dauerhaft geschädigt.
Besonders verheerend: Im Absenkungsbereich des Tagebaus Garzweiler liegen die letzten großen, natürlich gewachsenen Erlenbruchwälder Mitteleuropas (Internationaler Naturpark Maas-Schwalm-Nette). Diesem einzigartigen Ökosystem, das als FFH-Gebiet unter dem ausdrücklichen Schutz des europäischen Naturschutzrechts steht, wird buchstäblich das Wasser abgegraben.
Schon jetzt ist das Feuchtgebiet allen Kompensationsversuchen zum Trotz durch den seit den 1960er Jahren laufenden Tagebau Garzweiler I in erheblichen Teilen geschädigt worden. Durch “Garzweiler II” wurde der Naturpark endgültig zu einem Feuchtgebiet “am Tropf”: Über lange Zeit nach Bergbauende hinweg sollen künstliche Grundwasseranreicherungen dessen ökologische Substanz bewahren. Im Jahr 2021 wurden so 80 Mio. m3 so gen. "Ökowasser" (= aufbereitetes Sümpfungswasser) für die Feuchtgebiete verwendet. Bis heute kann allerdings niemand sicher prognostizieren, welche ökologischen Folgen dieser Eingriff zukünftig haben wird.
Mit dem vorzeitigen Ende des Tagebaus 2030 wird die Frage nach Ersatzwasserlieferungen noch drängender. Wenn das Sümpfungswasser aus dem Tagebau nicht mehr zur Verfügung steht, kann allein aus dem Rhein für Wassernachschub gesorgt werden. Dazu - und zur Befüllung des Restlochs - wird eine Rheinwassertransportleitung geplant.
Kippenproblem und Restsee
Die Bereitstellung von genügend Wasser ist das eine, dessen Qualität das andere. Bislang muss das Sümpfungswasser aufbereitet werden, ehe es als so gen. "Ökowasser" im Bereich der Feuchtgebiete infiltriert werden kann. Dazu kommt das vielfach unterschätzte sogenannte Kippenproblem: Durch das Wegbaggern der Braunkohle-Deckschichten kommen versauerungsempfindliche, d.h. sulfidreiche Sedimente an die Oberfläche. Durch den Zutritt von Luftsauerstoff, durch Niederschläge und - nach Tagebauende - durch das langwierige Wiederansteigen des Grundwassers bilden sich Säuren, die zu ökologischen Zeitbomben werden können. Alle geplanten Abpufferungsmaßnahmen können das Problem lediglich vermindern, lösbar ist es nicht.
Von dieser Versauerung wäre nicht nur die Trinkwasserversorgung zukünftiger Generationen betroffen, auch der geplante Restsee droht zu einem Säurebecken zu werden. Die ökologischen Folgen dieses - nach der Tagebauverkleinerung - 165 m tiefen und 2.260 ha großen "Binnenmeeres" mit einem Wasservolumen von rund 1,5 Mrd. m3 sind bis heute ungeklärt. Ganz zu schweigen davon, daß das Seebecken über mindesten vier Jahrzehnte nach Tagebauende künstlich mit Rheinwasser, welches über eine Pipeline herangeführt werden soll, befüllt werden müsste.
Feinstaub aus dem Tagebau
Der Tagebau Garzweiler ist die dominierende Quelle für die lokal hohe Feinstaub-Belastung, insbesondere in Grevenbroich-Gustorf. Dort wurden 2007 trotz des Inkrafttretens eines Feinstaub-Aktionsplanes 46 Überschreitungen des Tagesgrenzwertes von 50 µg/m3 registriert. Gesetzlich zulässig sind maximal 35 Überschreitungen des Grenzwertes pro Kalenderjahr. Hauptverantwortlich hierfür sind die Tagebaueinrichtungen im Kohlebunker. Aber auch der Tagebau selbst gilt als Quelle der hohen Feinstaub-Belastung. Der BUND hat erreicht, dass gemäß EU-Recht ein Luftreinhalteplan aufgestellt wurde. Durch die Maßnahmen im Tagebau konnten die schädlichen Immissionen deutlich gesenkt werden. Doch nach wie vor sind weitere Anstrengungen notwendig, um die Belastung im Umfeld der Tagebaue zu minimieren.
Garzweiler und Umsiedlung
Nicht zuletzt würden bei einer Realisierung von "Garzweiler II" nach den ursprünglichen Plänen 7.600 Menschen in 11 Dörfern ihre Heimat verlieren. Dörfer, die zum Teil auf eine über 1.000jährige Geschichte zurückblicken können, würden dem Erdboden gleichgemacht. Alle Untersuchungen haben nur eines gezeigt: Eine sozialverträgliche Umsiedlung ist nicht möglich.
Der BUND hat gegen die Zwangsenteignung seiner Obstwiese im Tagebau Garzweiler durch alle Instanzen geklagt. Mit Erfolg! Im Dezember 2013 hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass die "Grundabtretung" verfassungswidrig war. Im Frühjahr 2014 hat die Landesregierung daraufhin beschlossen, den Tagebau Garzweiler zu verkleinern. Holzweiler mit seinen knapp 1.300 Einwohner*innen wurde damit gerettet.
Mit der von der Klimabewegung erzwungenen Leitentscheidung 2021 rückte auch die Rettung der fünf Dörfer des 3. Umsiedlunsgsabschnitts näher. Mit der Vereinbarung mit RWE vom Oktober 2022 und der erfolgten Änderung des Kohleausstiegsgesetzes ist nun auch endgültig klar: Keyenberg, Kuckum, Unter- und Ober-Westrich sowie Berverath sowie die drei Feldhöfe bleiben erhalten. Trotz der Massenproteste konnte die Zerstörung von Lützerath nicht verhindert werden.
Aktuelles
- Internationale Gartenausstellung in Garzweiler: BUND mit Skepsis
- Rheinwassertransportleitung: BUND-Kritik am Genehmigungsverfahren
- BUND will mehr Natur am Garzweiler See
- Rheinwassertransportleitung: "RWE muss für Wasserentnahme zahlen"
- Neue Prognos-Analyse: Beschleunigung des Braunkohlenausstiegs möglich