Was regelt die Leitentscheidung?
Mit dem Kohleausstieg wird eine Anpassung der Braunkohlenpläne notwendig. Die Grundlage dafür soll eine neue Leitentscheidung zur Zukunft des Rheinischen Braunkohlereviers liefern. Am 6. Oktober 2020 hat das Kabinett den Entwurf einer solchen Leitentscheidung mit dem Titel "Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier" beschlossen und zwei Tage später den Landtag darüber unterrichtet. Der BUND hat diese in einer ersten Stellungnahme heftig kritisiert.
In Leitentscheidungen werden die Erfordernisse der Raumordnung für eine langfristige Energieversorgung und die Erfordernisse der sozialen Belange der vom Braunkohlentagebau Betroffenen und des Umweltschutzes festgelegt. Gemäß § 29 Abs. 2 Landesplanungsgesetz sind Leitentscheidungen landesplanerische Vorgaben für die Braunkohlenplanung. Allerdings werden diese allein von der Landesregierung beschlossen, der Landtag wird lediglich unterrichtet.
Bislang gab es drei Leitentscheidungen (1987, 1991, 2016). Alle krankten daran, dass sie weder den Anforderungen des Klimaschutzes, noch denen der sozialen Belange und des Umweltschutzes genügten. Auch war eine echte Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen. Die Legitimität solcher Leitentscheidungen ist deshalb mehr als fraglich.
Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Der BUND hat deshalb bereits im August 2020 zusammen mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis die Grundvoraussetzungen für die 4. Leitentscheidung formuliert.
Vom 8. Oktober bis 1. Dezember konnte die Öffentlichkeit im Rahmen eines so genannten Online-Dialogs den Entwurf der Leitentscheidung kommentieren. Auch fanden zwei Dialog-Veranstaltungen statt. Dabei machte die Landesregierung deutlich, dass dies keine Beteiligung sei, sondern lediglich das Feedback der Öffentlichkeit eingeholt werden sollte. Eine Vorgehen, dass der BUND heftig kritisierte.
Auf Einladung des Wirtschaftsausschusses des Landtags fand dann am 15. Dezember 2020 eine Anhörung statt. Auch der BUND war als Sachverständiger geladen.
Am 23. März 2021 hat das Landeskabinett dann die neue "Leitentscheidung 2021: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier – Kohleausstieg entschlossen vorantreiben, Tagebaue verkleinern, CO2 noch stärker reduzieren" beschlossen. Darin findet sich kaum eine der Anregungen des BUND wieder. Die Landesregierung bekräftigt ihre generelle Absicht, bis 2038 noch 900 Millionen Tonnen Braunkohle fördern zu wollen. Immerath und Lützerath sollen endgültig für den Tagebau Garzweiler zerstört werden, die übrigen Garzweiler-Dörfer bekommen einen Aufschub bis Ende 2026. Ein Abrissmoratorium ist in der Leitentscheidung ebenso wenig verankert, wie die dauerhafte Sicherung des Hambacher Waldes. Die Landesregierung hält weiter an der Erschließung der so gen. "Manheimer Bucht" zur Gewinnung von Materialien zur Böschungsgestaltung im Hambacher Restloch fest. Auch bekräftigt sie, dass ein Abstand der Braunkohlenbagger von 50 m zum Waldrand hinreichend sei. Weder die sofortige Unterschutzstellung des "Hambi" noch dessen Überführung in eine Naturschutzstiftung wurden verbindlich verankert.
Landtagsanhörung zur Leitentscheidung
Kritiker wurde das Mikrofon abgedreht
Im Vorfeld der Landtagsanhörung am 15. Dezember demonstrierten Vertreter*innen von Betroffenen und Umweltverbänden vor dem Parlament in Düsseldorf für einen Umsiedlungsstopp. Fünfeinhalb Stunden lang stellten sich dann die eingeladenen Sachverständigen den Fragen der Abgeordneten.
NRW-Geschäftsleiter Dirk Jansen bezeichnete die Umsiedlungspläne als unnötig und unverantwortlich. Die Vorgaben aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und die erst unlängst verschärften EU-Klimaschutzziele würden durch die Leitentscheidung ignoriert. Auch mangele es an einer wasserwirtschaftlichen Gesamtplanung und der Verpflichtung, den Verursacher RWE für die Bezahlung der Folgekosten durch die bergbaubedingten Ewigkeitslasten heranzuziehen. Auch der Hambacher Wald werde durch die geplante Massengewinnung im Osten weiter gefährdet.
Für den Strukturwandel fehlen laut Jansen klare Vorgaben für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Stattdessen plane die Landesregierung die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone Rheinisches Revier. Durch Eingriffe in Beteiligungsrechte und Umweltstandards solle zudem die Planungsbeschleunigung zur Umsetzung potenziell umweltschädlicher Projekte durchgesetzt werden. So blieben der Natur- und Freiraumschutz auf der Strecke.
Zum Eklat auf der Anhörung kam es, als dem von der Umsiedlung betroffenen David Dresen aus Kuckum bei der eindrücklichen Schilderung der Nöte der Tagebaubetroffenen vom Ausschussvorsitzenden das Mikrofon abgestellt wurde.
Online-Konsultation statt Partizipation
1. Dezember: Ende der informellen Beteiligung zur Leitentscheidung
Am 6. Oktober 2020 hat die Landesregierung den Entwurf einer neuen Leitentscheidung beschlossen. Bis zum 1. Dezember hat die Bevölkerung Gelegenheit, sich im Rahmen eines informellen Online-Dialogs zu diesem Entwurf zu äußern.
Der BUND hat dies mit einer Kurzstellungnahme getan. Fazit: Die Leitentscheidung ist untauglich, dem Rheinischen Revier eine wirklich zukunftsfähige Perspektive zu geben.
Die Leitentscheidung ist nicht geeignet, echten Klimaschutz, eine ökologische Raumentwicklung und nachhaltigen Strukturwandel entscheidend voran zu bringen sowie Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Darüber hinaus werden im derzeit noch laufenden so genannten Beteiligungsprozess wesentliche Grundsätze der Partizipation der Zivilgesellschaft missachtet.
Mit Datum vom 31. Juli 2020 hatte der BUND gemeinsam mit der Klima-Allianz Deutschland sowie den Initiativen 'Alle Dörfer bleiben' und 'Buirer für Buir' der Landesregierung „Anforderungen an die 4. Leitentscheidung zur Braunkohlenpolitik“ übermittelt. Die darin aufgeführten Eckpunkte wurden von einem breiten gesellschaftlichen Unterstützerkreis von 24 weiteren Verbänden und Initiativen mitgetragen.
Eine Berücksichtigung dieser Eckpunkte im Entwurf der Leitentscheidung erfolgte nicht. Auch ging die Landesregierung nicht auf das Angebot ein, darüber in einen Austausch zu treten. Im Ergebnis folgt der vorgelegte Entwurf der Leitentscheidung einseitig den Interessen des Bergbau treibenden Unternehmens RWE. Wesentliche zukunftsweisende Entscheidungen für die ökologisch-soziale Transformation des Braunkohlenreviers unterblieben.
So erfolgt beispielsweise erkennbar keine Orientierung am Pariser 1,5 Grad-Klimaschutzziel, weitere Siedlungen sollen unnötigerweise dem Tagebau weichen und eine weitere Gefährdung der Hambacher Bürgewälder ist nicht ausgeschlossen.
Am 15. Dezember findet zur Leitentscheidung eine Landtagsanhörung statt. Der BUND ist als Sachverständiger geladen und wird ausführlich Stellung beziehen.
Anforderungen an eine "echte" Leitentscheidung
1. Präambel/oberste Prämisse
Um langfristige Planungssicherheit für alle beteiligten Akteure im Rheinischen Revier und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu gewährleisten, muss die neue Leitentscheidung so gestaltet werden, dass sie das 1,5°-Ziels des Pariser Klima-Abkommens einhält.
Aus diesem Grunde sind alle weiteren Planungen - insbesondere die Braunkohlepläne und maximale zukünftige Braunkohlenfördermengen - daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der Einhaltung dieses Ziels kompatibel sind.
2. Voraussetzungen
Bis zur Verabschiedung der neuen Leitentscheidung werden im Rheinischen Braunkohlenrevier keine irreversiblen Tatsachen geschaffen. Es gilt insbesondere ein Moratorium für Zerstörungen (sogenannten „Rückbauarbeiten“) an Häusern, Kirchen, Denkmälern und dörflicher Infrastruktur. Aktuelle Planungen, die dem widersprechen, werden ausgesetzt.
Der soziale Frieden der Region muss wieder hergestellt werden. Um dies zu erreichen ist es notwendig eine Leitentscheidung aufzustellen, die eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz finden kann. Dazu bedarf es ein hohes Maß an Transparenz und eine breite Partizipation.
3. Aufstellungsprozess
Der gesamte Prozess der Leitentscheidung, sowie dessen Ergebnisse werden von einem Beirat begleitet und bewertet. Der Beirat setzt sich zu gleichen Teilen aus Vertreter*innen von Wissenschaft, Kommunen, Umweltverbänden, Zivilgesellschaft, Anwohner*innen und Wirtschaft zusammen.
Um demokratische Legitimität zu erreichen braucht es einen breiten und transparenten Beteiligungsprozess. Eingebrachte Forderungen müssen in der Leitentscheidung berücksichtigt werden. Falls diese nicht berücksichtigt werden, bedarf es einer einsehbaren Begründung derselben. Ferner muss die Leitentscheidung unter einen Parlamentsvorbehalt gestellt werden, damit auch gewählte Volksvertreter*innen mitentscheiden können.
Basis für die Erarbeitung der Leitentscheidung muss die ganze Bandbreite unabhängiger Gutachten in den Bereichen Klimaschutz, Energiewirtschaft, Ökologie und Sozialverträglichkeit sein.
Diese Gutachten sind insbesondere durch Untersuchungen zu ergänzen, wie die sich ergebenden maximalen Braunkohlefördermengen, sowie die zur Rekultivierung und Böschungssicherung erforderlichen Abraummengen unter Schonung besiedelter Bereiche und unter Flächenschutzaspekten - auch im Sinne der landwirtschaftlichen Nutzung und für nachhaltigen Strukturwandel - gewinnen lassen.
Soziale und wirtschaftliche Härten für betroffene Anwohner*innen sind auszuschließen. Um den sozialen Frieden in der Region wieder herzustellen, sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den Erhalt der bedrohten Dörfer sicherzustellen.
Im Rahmen der Aufstellung der Leitentscheidung sind auch unter Einbeziehung der Tagebaubetroffenen Möglichkeiten und konkrete Maßnahmen zum Schutz und zur Revitalisierung der Tagebaudörfer und Tagebauranddörfer festzulegen.
Die Leitentscheidung muss Maßnahmen für die ökologische Aufwertung der Region zum Beispiel durch ein „Biotopverbundsystem Rheinisches Revier“ beinhalten. Eine „Verinselung“ der Restflächen des Hambacher Waldes und andere Gefährdungen der Bürgewälder durch den Tagebau müssen ausgeschlossen werden.
Dem fortschreitenden Verlust an Artenvielfalt in der Region ist durch eine stärkere Berücksichtigung des Natur- und Artenschutzes – auch im Offenland - Rechnung zu tragen. Die verbliebenen Bürgewälder (Hambacher Wald, Merzenicher Erbwald, Teile der Steinheide) werden gemäß der europäischen Vorgaben als FFH-Gebiete ausgewiesen.