Explosion der Currenta-Sonderabfallverbrennungsanlage in Leverkusen 2021

Chemiegefahr am Rhein

Zur Explosion der Leverkusener Sonderabfallverbrennungsanlage kommen immer neue Details ans Licht. Das erfordert grundlegende Konsequenzen für den Chemiestandort NRW.

Bei der Explosion der SMVA wurden nicht nur giftige Luftschadstoffe freigesetzt, sondern auch kontaminiertes Löschwasser in den Rhein geleitet.

Am 27. Juli 2021 um 09:38 Uhr kam es zu einer verheerenden Explosion mit anschließendem Brand in der Sonderabfallverbrennungsanlage des Currenta-Entsorgungs­zentrums in Leverkusen-Bürrig. Bei der Katastrophe kamen sieben Menschen ums Leben, 31 Menschen wurden verletzt. Die giftige Brandwolke zog bis nach Dortmund. Im Zuge der Löscharbeiten gelangten Millionen Liter kontaminierten Löschwassers in den Rhein. Der BUND erstattete Strafanzeige. Doch Ursachen und Konsequenzen sind noch längst nicht abschließend geklärt.

GIGANTISCHE GIFTWOLKE

Eine genaue Bilanz des Schadens und der tatsächlichen Gefährdung von Anwohner*innen und weiteren Betroffenen ist bis heute nicht möglich. Zwar gab das Landesumweltamt in Bezug auf die Freisetzung von Dioxinen und anderen hochgefährlichen Stoffen schnell Entwarnung, doch die Giftwolke hing über großen Teilen Nordrhein-Westfalens und Langzeitfolgen sind nicht ausgeschlossen. Erst mehr als zwei Wochen nach der Explosion gab der Betreiber Currenta den Inhalt der explodierten Tanks bekannt. Danach lagerten dort schwefel- und phosphorhaltige Reststoffe, wie sie bei der Produktion von Pflanzenschutzmitteln entstehen. Die Reststoffe waren aus dem EU-Ausland zur Entsorgung in der Sonderabfallverbrennungsanlage bestimmt. Dazu kamen lösemittelhaltige Produktionsrückstände, die unterschiedliche Konzentrationen von Halogenen, Alkohole und Schwefel enthielten. Insgesamt eine Mischung mit hohem Gefährdungspotenzial.

Wie es zu der Explosion kommen konnte, wird von der Staatsanwaltschaft untersucht. Im Oktober 2021 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen drei Beschäftigte der Currenta eingeleitet. Grund ist der Anfangsverdacht auf fahrlässige Tötung sowie der fahrlässigen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

GIFTIGES LÖSCHWASSER

Doch damit nicht genug. Zur Bekämpfung des Brandes wurden über 35.000 Liter Löschwasser pro Minute eingesetzt. Diese Wassermengen vermischten sich mit dem regulären Abwasser und Produktresten aus dem havarierten Tank. Sie wurden über die Sicherungssysteme in Auffangbehälter der benachbarten Gemeinschaftskläranlage geleitet. Durch die Dauer des Einsatzes und dem ständigen Zulauf von Abwasser kam es dort am folgenden Tag zu einem Engpass. Dies sei eine Notlage, entschied der Krisenstab von Currenta und ließ große Anteile der aufgefangenen Wassermengen unter Zugabe von Aktivkohle in die Kläranlage, und damit letztlich in den Rhein einleiten.

Ein Kreis engagierter BUND-Expert*innen hakte nach, stellte mehrere Anfragen, forderte Aufklärung und war bei öffentlichen Veranstaltungen an der Seite der besorgten Bürger*innen. Es wurde seitens der Aufsichtsbehörden und der Currenta der Eindruck erweckt, man habe das Löschwasser auffangen und so Kläranlage und Rhein schützen können. Dies erwies sich als Täuschung.

BUND-Gewässerschutzexperte Paul Kröfges entdeckte in der Umweltdatenbank ELWAS, dass der Kläranlagenablauf von Currenta nach der Explosion am 27. Juli bis mindestens zum 9. August extrem erhöhte Werte des Insektengiftes Clothianidin aufwies. Das ist ein giftiges und seit 2018 EU-weit verbotenes Neonicotinoid, hergestellt vom Leverkusener BAYER-Konzern. Nach überschlägiger Berechnung gelangten mindestens 60 Kilogramm des Insektenkillers nebst anderer Schadstoffe über die Kläranlage in den Rhein.

BUND ERSTATTET STRAFANZEIGE

Zur Klärung des Sachverhaltes stellte der BUND bei der Bezirksregierung Köln eine offizielle Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz. Da die Antwort auf sich warten ließ, griff der WDR den Fall auf. "Dessen Berichterstattung deckte das ganze Ausmaß an Vertuschung von Currenta und Überwachungsbehörden auf", konstatiert BUND-Experte Paul Kröfges. "Auf Grund des verfehlten Konzeptes wurden etwa 10 Millionen Liter hoch belastetes Löschschaum-Abwassergemisch über die Kläranlage in den Rhein eingeleitet."

Die Verärgerung darüber ist insbesondere in den Niederlanden groß, da Currenta und die Behörden dies trotz internationaler Rhein-Vereinbarungen verschwiegen hatten. „Zwar gibt es den Warn- und Alarmplan der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins. Aber die Wasserbehörden im Lande reagieren nur mit Zeitverzögerung und auf Druck. Öffentlichkeit und Wasserversorger wurden in diesem Fall nicht informiert, das war absichtliche Vertuschung,“ kritisiert Kröfges. Behauptungen, dass „keine Grenzwertüberschreitungen“ vorlagen, sind nach BUND-Ansicht  eine krasse Verharmlosung. So wurden die in NRW für (gereinigtes) Abwasser geltenden Orientierungswerte für perfluorierte Verbindungen an mehreren Tagen um das  1,5fache überschritten. Currenta toppte das Desaster dann zum Jahresende mit der Nachricht, dass mindestens weitere 1,3 Millionen Liter Giftwasser wochenlang aus undichten Tanks ohne Vorbehandlung über die Kläranlage in den Rhein geflossen waren. Nach weiteren Recherchen und neuen Erkenntnissen erstattete der BUND am 17. Januar 2022 Strafanzeige gegen Currenta und die Bezirksregierung Köln.

GRUNDLEGENDE KONSEQUENZEN

Das planlose Agieren und fehlende Antworten der zuständigen Landesbehörden veranlassten den BUND, in einem Offenen Brief an Ministerpräsident Wüst auf die eklatanten Missstände hinzuweisen. Wüst wurde aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen. Dies zeigte Wirkung: Zum Jahresanfang gab es eine unangemeldete behördliche Inspektion bei Currenta, mit dem Ziel, genau die Fragen zu klären, die der BUND mehrfach gestellt hatte.

Und auch im Landtag steht das Thema auf Initiative der Fraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN an. Es stellen sich im Hinblick auf den geplanten Wiederaufbau der Anlage zahlreiche Fragen zur Zuverlässigkeit des Betreibers zur Genehmigung, zu Art, Menge, Lagerung und Behandlung des Sonderabfalles. Auch das Sicherheitskonzept und das Versagen der behördlichen Überwachung gehören aufgearbeitet. Letztendlich aber stellt sich die Frage, ob solche Hochrisikoanlagen  heutzutage überhaupt noch in unmittelbarer Nähe von Wohnsiedlungen errichtet werden dürfen.

 

Offener Brief

... an den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst vom 27.12.2021

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Currenta-Störfall wirft Fragen auf

Verheerende Explosion im Tanklager der Sonderabfallverbrennungsanlage Leverkusen muss rückhaltlos aufgeklärt werden.

03. August 2021 | Nach der verheerenden Explosion in der Sonderabfallverbrennungsanlage des Leverkusener Chemieparks fordert der BUND eine umfassende und transparente Aufklärung über die Ursachen und Konsequenzen. Insbesondere auch die vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) am vergangenen Freitag gegebene vorsichtige Entwarnung hinsichtlich der explosionsbedingten Schadstoffbelastung wirft noch Fragen. Nach den LANUV-Verlautbarungen wurden in den untersuchten Rußpartikeln und der einzelnen Wischprobe keine oder nur sehr geringe Mengen an Dioxin, PCBs oder PAKs gefunden. mehr

Ansprechpartner

Paul Kröfges

BUND-Gewässerschutzexperte
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