BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Currenta-Störfall wirft Fragen auf

03. August 2021 | Chemie, Ressourcen & Technik, Technischer Umweltschutz

Verheerende Explosion im Tanklager der Sonderabfallverbrennungsanlage Leverkusen muss rückhaltlos aufgeklärt werden.

Dienstag, 27. Juli 2021: Die verheerende Explosion setzt mutmaßlich giftige Schadstoffe frei. [Foto: privat] Dienstag, 27. Juli 2021: Die verheerende Explosion setzt mutmaßlich giftige Schadstoffe frei. [Foto: privat]

Nach der verheerenden Explosion in der Sonderabfallverbrennungsanlage des Leverkusener Chemieparks fordert der BUND eine umfassende und transparente Aufklärung über die Ursachen und Konsequenzen. Insbesondere auch die vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) am vergangenen Freitag gegebene vorsichtige Entwarnung hinsichtlich der explosionsbedingten Schadstoffbelastung wirft noch Fragen. Nach den LANUV-Verlautbarungen wurden in den untersuchten Rußpartikeln und der einzelnen Wischprobe (!) keine oder nur sehr geringe Mengen an Dioxin, PCBs oder PAKs gefunden.

Das ist nur scheinbar eine gute Nachricht, da die Aussage aufgrund der sehr geringen Probenahmezahl und der untersuchten Schadstoffpalette angesichts der Art der Ausgangsstoffe, des Explosionsgeschehens, der Qualm- und Rußverteilung, des gesamten Schadensausmaßes und der betroffenen Fläche auf noch sehr schwachen Füßen steht. Für völlig unangebracht hält der BUND die Aussage, „dass die Rußflocken auch für Kinder völlig unkritisch seien, selbst wenn diese so einen Brand-Rückstand verschlucken sollte“ (U. Quaß, LANUV). Dies stellt eine Verharmlosung dar, die den Umständen nicht gerecht wird. Es sei nur darauf verwiesen, dass die Rußpartikel „als deutlich säurebehaftet“ bewertet wurden. 

Wichtig sind dagegen folgende Aussagen der LANUV-Berichte:

  • es ist unklar, ob weitere unbekannte Stoffe abgegeben wurden,
  • es wird weiter der Verzicht auf Verzehr von Obst und Gemüse empfohlen,
  • verunreinigte Flächen sollten nicht angefasst und selbst gereinigt werden,
  • es läuft ein Screening Programm zur Untersuchung von Boden- und Pflanzenproben.

Hieraus wird die große Unsicherheit über die Auswirkungen des verheerenden Störfalles deutlich. Bisher wurde der Öffentlichkeit das explodierte Schadstoffgemisch mit „flüssige Reststoffe aus der Produktion von Chemikalien für die Landwirtschaft“, die Hauptbestandteile seien „phosphor- und schwefelhaltige Chemikalien“ nur unzureichend beschrieben. Die Currenta-Verantwortlichen konnten oder wollten die genaue Zusammensetzung der gelagerten Stoffe bislang nicht genau bestimmen.

Das bedeutet: Denkbar ist eine große Palette von giftigsten Stoffen, die einerseits durch die Explosion in die Umgebung verdriftet sein können, andererseits wohl auch eine bisher unbekannte Zahl und Menge an Verbrennungs- und Reaktionsprodukten mit wahrscheinlich hoher Toxizität die hierbei entstanden und weiträumig verteilt werden konnten. Dies kann derzeit niemand abschätzen und ausschließen. 

Die ersten LANUV-Untersuchungen haben sich korrekterweise auf klassische Verbrennungsprodukte chlorhaltiger organischer Abfälle mit hohem Giftpotenzial bezogen, jetzt muss aber mit modernsten Verfahren und an wesentlich mehr Proben aus allen Umweltmedien nach den Giftstoffen des gesamten Spektrums (Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukte) hin untersucht werden. Hierbei müssen auch umfassend non-target Untersuchungen zum Einsatz kommen, wie dies z.B. in den letzten Jahren am Rhein der Fall war. Dabei werden auch bisher nicht analysierte Substanzen sichtbar. "Dies ist aus Vorsorgegründen gegenüber der Gesundheit von Hundertausenden betroffenen Menschen unvermeidlich, die Kosten hierfür sind in vollem Umfang vom Verursacher zu tragen", sagt Paul Kröfges von der BUND-Regionalgruppe Köln.

Aktuell wird die Umweltministerin Heinen-Esser mit der selbstverständlichen Forderung nach Aufklärung der Ursachen und dem Satz zitiert: „Sowas darf nie wieder passieren!“ Dies wurde bei zahlreichen Chemiekatastrophen in der Vergangenheit immer wieder gefordert und beschworen, ganz offensichtlich mit wenig Erfolg. Wichtigste Voraussetzung hierfür wäre eine regelmäßige und intensive Kontrolle durch die zuständige Bezirksregierung - daran scheint es auch in diesem Falle wieder gemangelt zu haben.

Dieser Störfall hätte niemals passieren dürfen und muss endlich durchgreifende Konsequenzen, auch bei der öffentlichen Kontrolle solcher Anlagen, haben. "Gefordert ist jetzt eine transparente, umfassende und schonungslose Aufklärung. Auf Grund der Bedeutung dieses Störfalles und der erneuten Hinweise auf lückenhafte Überwachung durch die zuständige Bezirksregierung fordert der BUND daher die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Landtages um solche Pannen aufzuarbeiten und künftig zu vermeiden", so Kröfges. Das mitten in einem Ballungsgebiet mit mehreren Millionen Menschen eine solch problematische Anlage betrieben werden muss(te), sei der desaströsen Entstehungsgeschichte und den Sünden des Bayer-Konzerns zu „verdanken“. Dieser hat an diesem Standort über Jahrzehnte hinweg giftigste Produktionsrückstände vor Ort „entsorgt“ und damit eine Situation herbeigeführt, die nahezu irreparabel ist. Hieraus entstand letztlich der „Entsorgungspark“, d.h. eine Giftdeponie samt Sondermüllverbrennungs- und Kläranlage, ein Bereich, der dann an Currenta ausgegliedert und jetzt – wie eine „bad bank“ - an einen australischen Investor verkauft wurde. "Wir werden sehen, wer für die Folgen und Kosten haften wird."
 

Zur Übersicht

BUND-Bestellkorb