BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Vielfalt fördern

43.000 Arten leben in Nordrhein-Westfalen. Etwa die Hälfte davon steht auf der "Roten Liste", die biologische Vielfalt ist akut bedroht.

Glanrinder als "Naturschützer" in der Wahner Heide bei Köln.  (Holger Sticht)

Nordrhein-Westfalen besteht ausschließlich aus Kulturlandschaften, Wildnis gibt es hier seit vielen Jahrhunderten nicht mehr. Um die berechtigte Forderung nach ungestörter Natur mit dem Schutz der etwa 43.000 landesweit vorkommenden Arten zu vereinbaren, sind daher verschiedene Grundlagen zu beachten. So spielt beispielsweise der Einfluss großer Tierarten, die in NRW durch den Menschen zum größten Teil ausgerottet worden sind, eine entscheidende Rolle für den Erhalt der Biodiversität. Die Entwicklung von Wildnis kann daher nicht auf das reduziert werden, was nach gegenwärtigem Stand von selbst entsteht.

Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, kurz IUCN (zu Deutsch: Weltnaturschutzunion) definiert Wildnis folgendermaßen: "Als Wildnis gilt ein ausgedehntes, ursprüngliches oder leicht verändertes Gebiet, das seinen ursprünglichen Charakter bewahrt hat, eine weitgehend ungestörte Lebensraumdynamik und biologische Vielfalt aufweist, in dem keine ständigen Siedlungen sowie sonstige Infrastrukturen mit gravierendem Einfluss existieren und dessen Schutz und Management dazu dienen, seinen ursprünglichen Charakter zu erhalten."

Diese internationalen Wildnis-Kriterien sind auf Nordrhein-Westfalen, das ausschließlich aus Kulturlandschaften besteht, nicht ohne weiteres anwendbar. Es kann aber nicht übersehen werden, dass jenseits stark vom Menschen geprägter Kulturlandschaften Formen "Neuer Wildnis" möglich sind, die für die Sicherung der Biodiversität benötigt werden.

Für Mitteleuropa ging man lange Zeit davon aus, dass das gesamte Binnenland, bis auf nährstoffarme Moore, Felsstandorte und die Gebirge oberhalb der klimatischen Baumgrenze von Natur aus bewaldet war und ohne den Menschen heute noch wäre.

"Mitteleuropa wäre ein eintöniges Waldland, wenn nicht der Mensch das bunte Mosaik der Äcker und Heiden, Wiesen oder Weiden geschaffen und den Wald im Laufe von Jahrtausenden immer mehr zurückgedrängt hätte." (Ellenberg 1996).

Wissenschaftler vertreten seit den 1990er Jahren jedoch vermehrt die Theorie, dass Mitteleuropa nicht nur dicht bewaldet, sondern mit den unterschiedlichen Sukzessionsstadien, also auch mit Offenlandbereichen durchsetzt war bzw. heute noch wäre. Grund hierfür sei eine Vielzahl dynamischer Prozesse, die sich aus Synergien natürlicher abiotischer (u.a. Wind, Wasser/Eis, Feuer), und biotischer (u.a. Tiere, insbesondere Insekten und Säugetiere) Faktoren ergeben haben.

Tatsächlich ist inzwischen nachgewiesen, dass zahlreiche Tierarten, auch große Pflanzenfresserarten (Megaherbivorentheorie = Theorie der großen Pflanzenfresser) in Mitteleuropa lebten und ohne den Einfluss von Homo sapiens heute noch integraler Bestandteil unserer Ökosysteme wären, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Landschaft haben und teilweise an Offenlandbiotope angepasst sind.

Der Verlust der fast vollständigen Megafauna Mitteleuropas ist an sich schon ein denkwürdiger Artenschwund. Dazu gesellen sich ja noch die großen Prädatoren wie Wolf, Bär, Luchs oder Vielfraß, die direkt von den Megaherbivoren abhängig und ihrerseits durch den Menschen weitgehend ausgerottet worden waren. Noch verheerender aber ist das Defizit von Biodiversität, das aufgrund des Fehlens der großen Pflanzenfresser nach wie vor anwächst. Viele vermeintliche Kulturfolger und Waldarten – von Feldlerche und Wendehals bis hin zu Eremit und Fledermausarten -, die man heute mit zum Teil aufwendigem Pflegemanagement versucht zu erhalten bzw. die man lange Zeit als Profiteure einer endlich sich selbst überlassenen Kulturlandschaft angesehen hat, dürften nur eine dauerhafte Überlebenschance haben, wenn alle bodenständigen Tierarten, also auch die großen Pflanzenfresser, ihre Daseinsberechtigung zurückerhalten – in all ihren Lebensräumen.

Vor diesem Hintergrund ist es kontraproduktiv, bei der Entwicklung von "Neuer Wildnis" die Megafauna auszublenden bzw. zu regulieren. Aufgrund des hohen Raumanspruchs der großen Tierarten und der Konkurrenz zu anderen Nutzungsansprüchen lassen sich aber entsprechende Wildnisentwicklungs-gebiete hauptsächlich in Großschutzgebieten realisieren.

Folgende Maßnahmen sind erforderlich:

  • Ausweisung und Entwicklung von Nationalparks als Wildnisentwicklungsgebiete,
  • Ausweisung von Biosphärengebieten mit einer Kernzone als Wildnisentwicklungsgebiet,
  • Entwicklung von Korridoren und Entwicklungsräumen unabhängig von Schutzregimes durch Flächenarrondierung und Biotopverbundmaßnahmen,
  • Ausdehnung von Wildnisentwicklungsgebieten auf 3 % der Landesfläche bis 2020.

Vielfalt fördern – Naturschutz in der Kulturlandschaft

Positionspapier zu Biodiversität und Wildnis in NRW. März 2010.

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