Am 9. November 2020 hat NRW-Energieminister Andreas Pinkwart seine „Wasserstoff Roadmap Nordrhein-Westfalen“ vorgestellt. Geradezu euphorisch beschwört er dabei eine Energiezukunft, in der – frei nach Jules Verne - Wasser eines Tages als Brennstoff benutzt werden und auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern kann. Dabei setzt Pinkwart im ersten Schritt vor allem auf vor allem auf Großanlagen in der Industrie. Er kündigt an, Elektrolyseure im Gigawattmaßstab aufbauen und auch die ersten großen Fahrzeugflotten auf Wasserstoff umstellen zu wollen. 90 Prozent der dafür benötigten Wasserstoffs sollen importiert werden.
Energieträger mit Zukunft
Mit Wasserstoff (H2) kann Energie gespeichert, umgewandelt oder durch Verbrennung zu hohen Temperaturen freigesetzt werden. Es ist ein extrem leichtes Gas, das durch Zugabe von Kohlenstoff auch weiterverarbeitet werden kann, etwa zu Grundstoffen für verschiedene Industrien oder zu synthetischen Kraftstoffen. Bei diesen Verfahren wird von sogenannten Power-to-X-Technologien gesprochen, da diese durch Strom (Power) betrieben werden und dessen Energie in zahlreiche flüssige oder feste Endprodukte (dem X) umwandeln. Der Wasserstoff-Hype wirft viele Fragen auf: Welchen Beitrag kann grüner Wasserstoff zum Klimaschutz leisten? Wie lässt er sich nachhaltig produzieren und welche Mengen sind in den verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Wärme, Strom und Industrie notwendig? Und ebenso wichtig: Durch welche Klimaschutzalternativen kann der Energiebedarf insgesamt auf ein Minimum reduziert werden?
Beste Klimaschutzoption nutzen
Auf dem Weg zum treibhausgasneutralen Deutschland ist erneuerbarer Wasserstoff ein Baustein - denn er ist speicherbar und flexibel einsetzbar. Wasserstoff kann zukünftig eine signifikante Rolle als nachhaltiger Energieträger in Deutschland einnehmen, da er in Anwendungsbereiche vordringt, die sich langfristig nur schwer elektrifizieren lassen.
Allerdings ist es kein Allheilmittel, sondern sollte mit Bedacht eingesetzt werden: Grüner Wasserstoff sollte nur dort eingesetzt werden, wo keine anderen günstigeren und effizienteren Klimaschutzmaßnahmen existieren.
Wasserstoff kann somit nur ein Baustein im Klimaschutzportfolio sei und kann andere, zum Teil vorrangige Dekarbonisierungsanstrengungen nicht ersetzen. Für den BUND ergibt sich dadurch eine Priorisierung der Klimaschutz-/Ressourcenschutz-Optionen:
- Nachfragereduktion, Kreislaufführung und weitere Effizienzmaßnahmen;
- Schneller Kohleausstieg, Ausbau der erneuerbaren Energien;
- Elektrifizierung der Pkw mit EE-Strom bei gleichzeitiger Mobilitätswende;
- Einsatz von grünem Wasserstoff bei industriellen Prozessen, zunächst vorrangig zum Ersatz von grauem Wasserstoff;
- Synthetische Kraftstoffe nur für Luft-/Schwerlastverkehr und Schifffahrt.
Grün, gar, blau, türkis – nicht alles ist öko
Nur grüner, also mittels Elektrolyse aus erneuerbaren Energien gewonnener Wasserstoff, hilft dem Klimaschutz. Heute werden hierzulande jährlich zwar schon etwa 55 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff stofflich genutzt, dieser graue Wasserstoff wird aber überwiegend auf der Basis von fossilem Erdgas hergestellt. Die Industrie träumt davon, den grauen Wasserstoff mittels CO2-Abscheidung und Verbringung (CCS) zu blauem Wasserstoff zu adeln. Der BUND lehnt die CCS-Technik aber grundlegend ab aufgrund energetischer Ineffizienz und Gefährdungen des Grundwassers und anderer Umweltschädigungen. Auch türkiser Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt wurde, ist keine effiziente Klimaschutzoption.
Ohne eine drastische Beschleunigung des Ausbaus erneuerbaren Energien geht es also nicht. Für die Erzeugung grünen Wasserstoffs in Deutschland müssen zusätzliche Windräder und Solaranlagen installiert werden - über den bislang geplanten Ausbau zur Erreichung der Klimaziele hinaus. Das Ausbauziel für 2030 muss auf 100 Prozent angehoben werden, um überhaupt in den nächsten Jahren eine klimaförderliche Wasserstoffstrategie in Deutschland einführen zu können.
Umstrittene Wasserstoff-Importe
Sowohl die Landes- als auch die Bundesregierung setzen voll auf Wasserstoff-Importe. Das ist aus mehreren Gründen umstritten, wie die neue Studie " Bewertung der Vor- und Nachteile von Wasserstoffimporten im Vergleich zur heimischen Produktion" von Wuppertal Institut und DIW ECON zeigt. Mit dem Import sind nicht nur hohe Kosten und Unsicherheiten verbunden, auch könnte dies in den produzierenden Ländern zu unerwünschten Effekten führen, wie eine verschleppte Energiewende. Die Folge: Deutschland importiert Grünen Wasserstoff, aber im Produktionsland fachen fossile Energieträger weiterhin den Klimawandel an. Auch besteht die Gefahr, dass Wasserstoff nutzende Produktionszweige wie die Stahl- und Chemieindustrie zunehmend dahin abwandern, wo der Wasserstoff produziert wird. Andere Kritiker sprechen von Formen des Energie-Kolonialismus.
Die WI/DIW-Studie zeigt aber auch: Die heimische Produktion grünen Wasserstoffs kann konkurrenzfähig sein und schafft enorme heimische Wertschöpfungseffekte. Große Synergien ergeben sich vor allem dort, wo mit zunehmendem Einsatz fluktuierender Energieträger Überschussmengen in Wasserstoff umgewandelt werden. Die Erneuerbare-Energien-Potenziale in Deutschland reichen aus, um neben der Stromversorgung auch die Produktion von Wasserstoff für den industriellen Einsatz zu ermöglichen.
Verkehr: Vorfahrt für die direkte Elektrifizierung
Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe im Straßenverkehr sind keine Alternativen zur direkten Stromnutzung, da sie aufgrund der Umwandlungsverluste bei Herstellung, Umwandlung bzw. Verbrennung zu einer deutlich schlechteren Energiebilanz führen. Im Vergleich zur direkten Stromnutzung in batterieelektrischen Fahrzeugen wird bei der Nutzung synthetischer Kraftstoffe für die gleiche Kilometerleistung fünf bis sieben Mal so viel Strom benötigt. Synthetische Kraftstoffe verschärfen also gegenüber elektrischen Antrieben die Herausforderungen beim Ausbau erneuerbarer Energien.
Im Gegensatz zum Straßenverkehr wird im Luft- und Schiffsverkehr die direkte Stromnutzung in absehbarer Zeit keine Rolle spielen. Hier ist der Einsatz grünen Wasserstoffs perspektiv bei Nutzung aller Vermeidungspotenziale sinnvoll.
Akteursinitiative ‚Zukunft Wasserstoff.NRW‘
NRW ist das Energie- und Industrieland Nr. 1 in Europa, Verkehrsknotenpunkt in Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr, Logistikhub und eine der am dichtest besiedelten Regionen des Kontinents. Klimaschutz, Energie-, Verkehrs- und Wärmewende und der Strukturwandel stellen uns hier vor Ort vor große Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt. Eine leistungsfähige Wasserstoffwirtschaft kann auf viele Arten dazu beitragen, diese Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten. Auf dem Weg dorthin gilt es jedoch eine Vielzahl an Fragen zu klären. Neben den technischen und wirtschaftlichen Fragen stellt sich eine Breite an Fragen gesellschaftlicher Natur, insbesondere auch im Hinblick auf eine erfolgreiche ökologisch-soziale Transformation.
Deshalb haben sich Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie zusammen getan und die Akteursinitiative ‚Zukunft Wasserstoff.NRW‘ gegründet. Auch der BUND ist dabei. Die Akteursinitiative wurde von Mitgliedern des Klima.Diskurs.NRW e.V. gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, an den oben skizzierten Fragen zu arbeiten und Wege auszuloten, wie der Auf- und Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft so gestaltet werden kann, dass er gesellschaftlich akzeptiert wird. [zur Gründungserklärung der Akteursinitiative]