Landesstraßen in NRW: Infrastruktur mit Zukunft?

Nordrhein-Westfalen verfügt mit rund 13.000 Kilometern über eines der längsten Landesstraßennetze in Deutschland. Diese Straßen verbinden Städte und Gemeinden, erschließen ländliche Regionen und dienen dem regionalen Verkehr. Hinzu kommen Autobahnen, Bundes- und Gemeindestraßen – insgesamt umfasst das Verkehrsnetz 125.000km und macht 7% der Fläche NRWs aus. Damit ist es eines der dichtesten Verkehrsnetze in ganz Europa.
Trotz dieses Ausbaustands sind nach wie vor viele Neubauprojekte für Landesstraßen geplant. Viele dieser Vorhaben stammen aus alten Planungen, deren Grundlagen heute nicht mehr zeitgemäß sind: Sie beruhen auf überholten Annahmen zum Verkehrswachstum, berücksichtigen die Klimaziele nicht ausreichend und stehen oft im Widerspruch zum Prinzip der Flächenschonung.
Der BUND NRW setzt sich deshalb für eine grundsätzliche Neuausrichtung ein: Erhalt statt Neubau muss das Leitprinzip einer zukunftsfähigen Landesstraßenpolitik sein.
Warum ein Umdenken notwendig ist
Neue Straßen schaffen selten dauerhafte Entlastung – sie erzeugen meist zusätzlichen Verkehr, versiegeln weitere Flächen und zerschneiden wertvolle Lebensräume. In Zeiten von Klimakrise, Flächenknappheit und Verkehrswende ist es nicht mehr zeitgemäß, Planungen aus dem letzten Jahrzehnt einfach weiterzuführen.
Viele der geplanten Straßenprojekte sind weder verkehrlich notwendig noch ökologisch vertretbar. Statt neue Trassen durch Wälder, Felder oder Naturschutzgebiete zu schlagen, sollten bestehende Straßen sinnvoll genutzt, saniert und angepasst werden. Gleichzeitig braucht es massive Investitionen in den Umweltverbund – also in Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr.
Landesstraßenbedarfsplan: Neuaufstellung bis 2026
Während bei Bundesprojekten (z. B. Autobahnen) das Land nur begrenzten Einfluss hat, ist es bei Landesstraßen selbst federführend. Gleiches gilt für Schienenprojekte im Nah- und Regionalverkehr sowie Landeswasserstraßen. Ziel ist ein Verkehrssystem, in dem alle Verkehrsträger zusammenwirken – effizient, sicher und klimaverträglich, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Der Verkehrsinfrastrukturbedarfsplan des Landes bildet dafür die Grundlage. Er legt das Investitionsvolumen für den ÖPNV (Schiene) sowie für Landesstraßenprojekte fest. Aktuell basiert dieser noch auf dem Landesstraßenbedarfsplan von 2007 – ein Plan, der dringend überarbeitet werden muss.
Der aktuelle Landesstraßenbedarfsplan von 2007 besteht nur aus Neu- und Ausbauvorhaben und unterteilt Projekte in sogenannte Dringlichkeitsstufen:
- Stufen 1 und 2*: Projekte mit hoher Priorität – Planungen können bis zur Genehmigungsreife vorangetrieben werden.
- Stufe 2: Vorhaben mit mittlerer Priorität – Planungen enden mit der Linienbestimmung.
Auf Basis dieses Plans stellt das Verkehrsministerium NRW im Benehmen mit dem Verkehrsausschuss des Landtags den Landesstraßenausbauplan auf. Dieser bildet die mittelfristige Planungsgrundlage für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren. Daraus werden jährlich konkrete Projekte ausgewählt, die in das Straßenbauprogramm und damit in den Landeshaushalt aufgenommen werden. Sobald das Baurecht vorliegt und Mittel bereitgestellt sind, kann der Landesbetrieb Straßen.NRW die Umsetzung übernehmen.

Eine echte Chance – oder wieder nur eine Wunschliste?
In dieser Legislaturperiode wird der Landesstraßenbedarfsplan gemeinsam mit dem ÖPNV-Bedarfsplan und erstmals auch für Radschnellwege vollständig neu aufgestellt. Dieser Prozess soll bis 2026 abgeschlossen sein. Ab Mitte 2024 konnten Kommunen und Zweckverbände neue Maßnahmen anmelden. Diese Projektvorschläge werden nun vom Ministerium gesichtet und bewertet. Bis Ende 2026 soll dann ein Gesamtplan aus den ermittelten Bedarfen und den eingereichten Projekten entstehen. Entscheidungsgrundlage ist das Landesverkehrsmodell 2035, das alle Anmeldungen mit realistischen Verkehrsprognosen, Umweltaspekten und Wirtschaftlichkeit vergleicht.
Unsere Hoffnung: Diese Neuaufstellung bietet die Gelegenheit, Mobilitätsprojekte stärker an Zielen wie Klimaschutz, Flächensparsamkeit und Verkehrswende auszurichten.
Unsere Sorge: Bisherige Bedarfspläne waren oft eher eine „Wünsch-dir-was“-Sammlung als ein zielgerichtetes Entwicklungsinstrument. Schon jetzt zeigt sich: Viele Kommunen haben seitenweise neue Straßenprojekte und zusätzliche Ortsumgehungen angemeldet – darunter zahlreiche Vorhaben, die aus Sicht des BUND NRW nicht notwendig, nicht finanzierbar und nicht umweltverträglich sind.
Was fehlt: Transparente Kriterien, eine klare Zielorientierung und ein echtes Nachhaltigkeitsleitbild. Nur dann kann der neue Plan dazu beitragen, Mobilität zukunftsfähig zu gestalten – statt alte Probleme zu verfestigen.
Schluss mit dem „Weiter so“
Wir setzen uns für eine verantwortungsvolle, zukunftsorientierte Verkehrspolitik ein. Dazu gehört:
- Keine neuen Straßenprojekte ohne Notwendigkeit – stattdessen Erhalt und Umweltverbund stärken: Statt immer neue Straßen zu bauen, sollte das Land seine Mittel gezielt in den Erhalt und die Sanierung bestehender Infrastruktur investieren. Gleichzeitig braucht es einen konsequenten Ausbau des Umweltverbundes – also bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr, sichere Radwege und attraktive Fußwege. So wird Mobilität für alle zugänglich, klima- und flächenschonend.
- Ein integrierter Mobilitätsplan statt einer „Wünsch-dir-was“-Liste: Die bisherige Praxis, dass Kommunen Straßenprojekte weitgehend beliebig anmelden können, führt zu einer unsystematischen Planung mit vielen nicht realisierbaren Vorhaben. Stattdessen braucht NRW einen integrierten Mobilitätsplan, der alle Verkehrsträger zusammen denkt – und sich an übergeordneten Zielen orientiert, nicht an Einzelinteressen.
- Klare Zielsetzungen: Klimaschutz, Unfallvermeidung, Flächensparen. Die Verkehrsplanung muss sich an konkreten Zielen messen lassen – z. B. an der Reduzierung von CO₂-Emissionen, der Vermeidung von Unfällen, der Minimierung des Flächenverbrauchs und der Förderung gleichwertiger Mobilität in Stadt und Land. Verkehrsprognosen, die stark von einzelnen Annahmen abhängen, sollten nicht mehr allein die Grundlage für Investitionsentscheidungen sein.
- Transparente und nachvollziehbare Bewertungskriterien: Welche Projekte in die Bedarfsplanung aufgenommen werden, muss offen nachvollziehbar sein. Der BUND NRW fordert ein transparentes Bewertungssystem, das ökologische, raumplanerische und soziale Kriterien stärker berücksichtigt – anstelle einer beschönigten Kosten-Nutzen-Rechnung.