BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Rheinniedrigwasser: Folgen für Ökologie und Schifffahrt

16. August 2022 | Flüsse & Gewässer, Naturschutz, Mobilität

„Man kann nicht gegen den Klimawandel anbaggern“

Der Rhein bei Düsseldorf am 17. August 2022. [Foto: Dirk Jansen]

Die dramatisch fallenden Rheinpegel verstärken die Rufe aus Industrie, Transportbranche und Politik nach einer so genannten „Rheinvertiefung“ zur Sicherstellung der Befahrbarkeit des Rheins bei Niedrigwasser. Der BUND erteilt solchen Plänen eine Absage und fordern stattdessen ein umfassendes Konzept zum Schutz des Ökosystems Rhein.

Der Rhein als Lebensraum

Der Rhein ist nicht nur Wasserstraße und über das Uferfiltrat wichtiger Trinkwasserlieferant, sondern er ist auch ein wichtiges Ökosystem. Jahreszeitliche Wasserschwankungen sind normal, aber gerade die klimawandelbedingt zunehmend niederschlagsarmen und heißen Sommermonate stressen das gesamte Ökosystem. Dies auch vor dem Hintergrund, dass mit sinkender Wasserführung auch die Schadstoffkonzentrationen und Temperaturen steigen und der Sauerstoffgehalt abnimmt.

Stellvertretend für die gesamte Biozönose sei hier nur auf die Fischfauna verwiesen. Die NRW-Rheinabschnitte haben eine besondere Bedeutung für die streng geschützten und im Anhang II der europäischen Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie gelisteten Wanderfische wie Flussneunauge, Lachs, Maifisch und Meerneunauge, aber auch für die Nichtwanderfische Groppe und potenziell Steinbeißer.

Der Rhein in NRW ist aber auch von maßgeblicher Bedeutung für die Fischfauna in den Fließgewässersystemen von Ruhr, Lippe, Wupper oder Sieg sowie für die des Mittel- und Oberrheins, mit Ahr, Mosel oder Main. Er sichert normalerweise den Zu- und Anzug der Langdistanzwanderer und damit deren Populationen in den Nebenflüssen des Rheins.

Gerade für Lachs und Maifisch wurden millionenteure Wiederansiedlungsprogramme umgesetzt. Diese drohen jetzt zunehmend in Gefahr zu geraten.

Die verschiedenen Rheinabschnitte besitzen dabei eine unterschiedliche Bedeutung als Laichplätze, Jungfisch-, Nahrungs-, und Ruhehabitate für Fische. Wenn z. B. Flachwasserzonen trockenfallen und sich der Rhein mehr und mehr auf die Fahrrinne zurückzieht, geht dieser wichtige Lebensraum für etliche Tierarten verloren und für andere wird der Lebensraum eingeengt. Zusätzliche Gefahren lauern dann auch in der Fahrrinne der Binnenschiffe.

Ökologische Gefahren durch Niedrigwasser

„Stark wechselnde Wasserstände an Still- und Fließgewässern sind grundsätzlich natürlich und sogar für die Vielfalt semiaquatischer Arten wichtig. Aber ab einem bestimmten Stand wird es gefährlich für aquatische Arten wie Fische, weil mit sinkendem Rheinpegel die Temperatur steigt und der Sauerstoffgehalt sinkt. Wir haben hier v.a. das Problem, dass der Rhein komplett verbaut ist und somit wenig natürliche Rückzugsräume für Wasserlebewesen übrig sind“, sagt der BUND Landesvorsitzende Holger Sticht.

Das zeitliche Zusammentreffen von Niedrigwasser im Rhein und der lang andauernden Hitzeperiode bedroht deshalb in vielfältigster Weise die gesamte Gewässerökologie. Beispielsweise ziehen sich aufstiegsbereite Wanderfische wie Lachs oder Maifisch in kühlere Grundwasserzutritte -  so es sie überhaupt noch gibt - zurück. Die bei der Aufwärtswanderung in ihre Laichgründe pausierenden Fische werden dadurch aus dem Takt gebracht: So kann beispielsweise das Paarungsverhalten und der Ablaicherfolg gestört werden, wenn die Fische zu spät die angestammten Laichgründe in den Oberläufen der rheinischen Seitengewässer erreichen.

Steigende Temperaturen, sinkender Sauerstoffgehalt

Limitierender Faktor ist vor allem die Temperatur und der damit verknüpfte Sauerstoffgehalt des Wassers. Eine Sauerstoffkonzentration von weniger als sechs Milligramm pro Liter gilt für Fische wie den Lachs als äußerst kritisch. Ein längeres Absinken unter diese Schwelle kann zu Fischsterben führen.

Bereits Wassertemperaturen von mehr als 20 Grad können empfindliche Arten wie Lachsforelle und Äsche belasten. Ab 23°C Wassertemperatur kann beobachtet werden, dass die Wanderaktivitäten der Salmoniden abnehmen und ab 24–25°C vorübergehend zum Stillstand gelangen. Im Oberrhein wurde das Absterben von Äschen bereits ab einer Wassertemperatur von 23°C beobachtet. Barbe, Rotauge und Zander gelten ab 25 Grad gefährdet.

Aktuell (15. August 2022) erreicht die Rheinwassertemperatur in Bad Honnef 25 Grad Celsius – und damit steuert die Temperatur auf die als besonders kritische Schwelle von 28 °C zu. Hält die Hitze an, droht auch der Sauerstoffgehalt die kritische Konzentration zu unterschreiten (siehe https://undine.bafg.de/rhein/guetemessstellen/rhein_mst_bad_honnef.html ).

Gefahren durch Industrie, Kraftwerke und Tagebaue

Die Landesregierung muss alles tun, das Ökosystem Rhein zu stärken. Leider geschieht das genaue Gegenteil. Ein großer Negativfaktor sind nach wie vor Kühlwasserentnahmen bzw. -einleitungen für Kraftwerke und Industriebetriebe, z.B. für die Chemieindustrie und fossile Kraftwerke am Rhein. Sie sorgen für zusätzliche Wärmefrachten, die die durch den Klimawandel bedingte Situation zusätzlich verschärfen. Spitzt sich die Situation zu, muss im Zweifel deren Produktion eingeschränkt oder eingestellt werden.

Erschwerend kommt auch noch hinzu, dass zukünftig für mehrere Jahrzehnte gigantische Mengen Rheinwassers aus dem Rhein entnommen und per Pipeline in die Restlöcher der Braunkohlentagebaue transportiert werden sollen, was die Problematik zusätzlich verschärfen dürfte.

Bislang fehlen noch belastbare Klima-Szenarien für die Rheinwasserentnahme. Eine klimabasierte Wasserstandsprognose, die die Jahres-Ganglinien der Rheinpegel für die nächsten Jahrzehnte unter Einbeziehung der Klimadaten der letzten Jahre statistisch modelliert, fehlt bislang ebenso, wie Untersuchungen zu möglichen Auswirkungen auf das Ökosystem Rhein.

„Rheinvertiefung“ als zusätzliche Bedrohung

Die Industrie ist aber nicht nur Täter, sondern auch Opfer, da die Binnenschifffahrt bei der Häufung von Niedrigwasserphasen akute Transportprobleme bekommt. Der Politik fällt da nichts Besseres ein, als zur so genannten "Abladeoptimierung" über eine mechanische Vertiefung der Fahrrinne des Rheins nachzudenken.

„Wir können nicht gegen den Klimawandel anbaggern“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND in NRW. „Anstatt Steuermillionen für ökologisch schädliche Eingriffe zu verplanen, sollte lieber das Ökosystem Rhein gestärkt werden. Die Förderung Niedrigwasser optimierter und emissionsarmer Schiffstypen sowie eine Verlagerung des Transports auf die Schiene sind zielführender, wenn die Binnenschifffahrt eine ökologische Zukunft haben soll. Wir müssen die Schiffe an die Flüsse anpassen, nicht umgekehrt.“

Ein verbauter Strom wie der Rhein tieft sich stellenweise und gezwungenermaßen schon von alleine ein, was mit negativen Folgen für die Trinkwassergewinnung und die biologische Vielfalt verbunden ist. Die Aue wird praktisch von dem Fluss, der sie versorgen muss, abgetrennt, weil der Grundwasserspiegel mit dem Flussbett absinkt.

Dieser Prozess würde durch eine mechanische Vertiefung der Fahrrinne zusätzlich verstärkt. Dadurch würden auch Schutzgebiete wie zum Beispiel das FFH-Gebiet Urdenbacher Kämpe bei Düsseldorf massiv beeinträchtigt. Gleichfalls käme es zu einer Verarmung der unterschiedlichen Lebensräume im Rhein selbst.

Den vorschnellen Forderungen nach einer schnellen Realisierung des im Bundesverkehrswegeplan verankerten Projekts „Abladeverbesserung und Sohlenstabilisierung am Rhein zwischen Duisburg und Stürzelberg“ muss deshalb eine Absage erteilt werden. Alle angedachten Maßnahmen stehen unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den Schutzvorgaben aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie. Dazu hatten die Naturschutzverbände schon im Mai 2015 eine Studie vorgestellt, deren Kernaussagen bis heute Gültigkeit haben.

Als Alternativen zur „Rheinvertiefung“ kommen insbesondere schiffbauliche Optimierungen und die Konzentration der Investitionen/Fördergelder auf die Weiterentwicklung und konsequente Anwendung moderner Antriebs- und Navigationstechnik mit dem Ziel, die benötigten Querschnitte und Tiefenabmessungen der Fahrrinne zu reduzieren und eine flexiblere Nutzung des Flusses zu ermöglichen, in Betracht. Zusätzlich zur Förderung der Antriebs- und Navigationstechnik ist auch die Informationslogistik über Engstellen und sonstige Situationen an die Schiffsführer auszubauen und zu verbessern.

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