Die RWE Power AG behauptet, dass bei einer Aussparung Lützeraths die Minimalmenge an Abraum für eine vollständige Wiedernutzbarmachung der Tagebaue „bei weitem“ nicht zur Verfügung stünde. Ferner sei man zur dauerhaft standsicheren Gestaltung der Innenkippe auf Material aus allen Flächen angewiesen. Auch ginge ansonsten die Lössbilanz für Garzweiler und Hambach nicht auf, womit eine geordnete Wiedernutzbarmachung nicht sichergestellt sei.
RWE-Gutachter: 690 Mio. m3 Abraum nötig
Dabei beruft sich die Bergbautreibende auf die in ihrem Auftrag von der Mining Technology Consulting GmbH (MTC) erstellte gutachterliche Stellungnahme „Bewertung der Auswirkungen und Konsequenzen für den Tagebau Garzweiler bei Nicht-Inanspruchnahme der ehemaligen Ortslage Lützerath“ vom 31. August 2022. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass der Mindestbedarf an Abraum, welcher aus dem Tagebau Garzweiler bereitzustellen ist, rund 775 Mio. m³ betrage:
- Massenbedarf für die Verfüllung des östlichen Garzweiler Restlochs: 390 Mio. m³ ,
- Massenbedarf für Modellinnenkippe einschließlich der an der Nordböschung und am Böschungssystem des Bandsammelpunktes erforderlichen Vorschüttungen: 225 Mio. m³ ,
- Rekultivierungsmaterialien für den Tagebau Hambach, Abraummaterialien zur Verfüllung des Bunkers Fortuna, Abraum und Rekultivierungsmaterialien für die Kraftwerksreststoffdeponien etc.: 160 Mio. m³.
Die 3D-geologische Modellierung und Bilanzierung des innerhalb des geplanten Abbaufeldes Garzweiler anstehenden und gewinnbaren Abraums weise dabei ein Abraumdargebot von insgesamt rund 690 Mio. m³ aus, das vollständig gefördert werden müsste. Ohne die Inanspruchnahme Lützeraths fehlten 85 Mio. m3 (bei Erschließung der südlichen und nördlichen Teilfelder).
Plausibilitätsprüfung durch Regierungs-Gutachter
Das NRW-Wirtschaftsministerium hat die RWE-Angaben einer Plausibilitätsprüfung durch die Firma Fuminco („Plausibilisierung von Szenarien für die Fortführung des Tagebaus Garzweiler II im Hinblick auf gewinnbare Kohlenmengen und die Abraumbilanzierung“, Aachen, 20.09.2022) und den Geologischen Dienst unterzogen. Fuminco bestätigt weitestgehend die RWE-Angaben und geht seinerseits von angebotsseitigen Volumina in Höhe von 695 Mio. m3 aus. Die von RWE Power postulierten Gesamtbedarfe von 775 Mio. m3 erachtet Fuminco für nachvollziehbar, stellt aber einschränkend fest, dass für die Abraumbedarfe außerhalb des Tagebaus Garzweiler keine Planungsdaten oder sonstige RWE-Informationen zur Verfügung gestanden hätten.
Der Geologische Dienst (GD NRW) wurde vom MWIKE gebeten, kurzfristig die Berechnungen des Büros MTC zusätzlich zum beauftragten Gutachterbüro FUMINCO zu überprüfen. Der GD NRW kommt in seiner 5-seitigen Stellungnahme vom September 2022 auf ein Abraumvolumen von 688 Mio. m3, schränkt aber die Aussagekraft seiner Stellungnahme selbst ein: „Die für das Gutachten verwendeten Daten wurden dem GD am 13.09.2022 zur Verfügung gestellt. Am 15.09.2022 wurde den Beteiligten vom MWIKE mitgeteilt, dass am 21.09.2022 eine Abgabe der Überprüfungen erfolgen muss. Aufgrund der Kürze der Zeit konnten nur eingeschränkte Prüfungen erfolgen.“
Keine Alternativenprüfung - eingeschränkte Aussagefähigkeit
„Die weitere Tagebauführung in Garzweiler und Hambach soll unter Berücksichtigung aller Massenbedarfe so gestaltet werden, dass die Flächeninanspruchnahme auf ein Minimum begrenzt wird. Hierzu soll die Massenbilanzierung transparent evaluiert werden.“ So ist es im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün festgehalten. Nur gehalten hat man sich nicht daran.
Bis heute fehlt diese objektiv nachvollziehbare Massenbilanz und – noch schlimmer – es wurden sogar Ratschläge der eigenen Gutachter zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme missachtet.
Alle dem RWE-Deal zugrundeliegenden Gutachten kranken daran, dass sie lediglich ein vorgegebenes Szenario untersuchten, dass eine beidseitige Umfahrung Lützeraths zum Gegenstand hatte. Das bestätigt Fuminco: „Innerhalb der kurzen Bearbeitungsdauer konnten allerdings keine Alternativen zu der MTC-Abbaugrenze und - darauf aufbauend - keine neuen Abbaukonzepte entwickelt werden, da belastbare Konzepte in dieser Größenordnung mehrmonatiger Planungsprozesse bedürfen.“ (Fuminco 2022, S. 45)
Dabei wären sowohl diverse alternative Tagebauszenarien denkbar wie auch Maßnahmen zur Reduzierung der Massenbedarfe in Garzweiler und Hambach. Das hier allein die RWE-Vorstellungen zur Grundlage gemacht wurden, ist ein großes Manko.
Verzicht auf vollständige Restloch-Verfüllung
Die ahu GmbH in Aachen wurde mit Schreiben vom 02.09.2022 vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE) beauftragt, zu verschiedenen wasserwirtschaftlichen Themen Stellung zu nehmen („Gutachterliche Überprüfung einer Tagebauvariante des Tagebaus Garzweiler II mit Erhalt der Ortschaft Lützerath im Hinblick auf die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen“, Aachen, 20.09.2022).
Die Gutachter machen einen naheliegenden Vorschlag zur Reduzierung des Massenbedarfs: Bei einer verringerten Auffüllung des etwa 7 km2 großen östlichen Garzweiler-Restlochs wäre der Abraumbedarf geringer, was auch zu einer geringeren Flächeninanspruchnahme im Westen führen würde.
Konkret heißt das: Das Abraum- und Lößdefizit bei einem Restsee mit Erhalt der ehemaligen Ortslage Lützerath gemäß RWE Power AG (29.08.2022) würde danach nicht auftreten, wenn im östlichen Restloch die Verfüllung um im Mittel ca. 29 m verringert würde. Der um ca. 200 Mio. m3 verringerte Abraumbedarf würde auch zu einer verringerten Flächeninanspruchnahme im Westen von ca. 100 Hektar führen.
Naturschutzfachliches nationales Leuchtturmprojekt
Diese Lösung, so die Regierungsgutachter, würde die einmalige Chance bieten, in der ausgeräumten Landschaft ein arten- und naturschutzfachliches nationales Leuchtturmprojekt zu realisieren.
Das östliche Restloch würde dann mit verschiedenen, teils sogar kulturfeindlichen Substraten (Ton, Sand, Kies, tertiäre Substrate) verfüllt werden, die nährstoffarm und frei von typischen oberflächennahen Belastungen (Schadstoffe) sind. Bei einem Verzicht einer Lößabdeckung (ca. 14 Mio. m3 bei ca. 2 m Lößabdeckung) wären diese Flächen jedoch nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar.
Der Flurabstand nach einem späteren Grundwasseranstieg läge immer noch bei einigen Metern. Aufgrund der hohen Durchlässigkeit sehen die Gutachter keine Notwendigkeit einer Entwässerung. In Abhängigkeit von der Oberflächenmodellierung könnte ein Mosaik aus Flachwasserbereichen, feucht-nassen Flächen und trockenen Standorten unterschiedlicher Exposition geschaffen werden.
Das wäre ein großer Beitrag für mehr Biodiversität im Rheinischen Revier und ein wichtiger Baustein für den angestrebten Biotopverbund. Letzterer ist kein „nice-to-have“, sondern eine verpflichtende Vorgabe. 30 Prozent der Fläche sollen dafür bereitgestellt werden.
Klar ist aber auch, dass dies den bisherigen Wiedernutzbarmachungsvereinbarungen gemäß Braunkohlenplan von 1995 widersprechen würde. Hier muss sich die Landesregierung ehrlich machen: Sollen 100 Hektar bester Böden westlich von Lützerath zerstört werden, um minderwertiges Neuland für Landwirtschaft und Gewerbeflächen zu schaffen? Oder wird die Flächeninanspruchnahme im Westen des Tagebaus zugunsten eines ökologischen Leuchtturmprojektes im Osten reduziert?
Auf keinen Fall nachvollziehbar ist, dass dieser gute Vorschlag der Regierungsgutachter sang- und klanglos in den Schubladen des Wirtschaftsministeriums beerdigt wurde. Doch noch wäre es möglich, das zu korrigieren. Deshalb muss das von den Regierungsgutachtern der ahu aufgezeigte Alternativszenario in der neuen Braunkohle-Leitentscheidung berücksichtigt werden.
Mehr:
Kohle unter Lützerath wird nicht benötigt
Bergrechtliche Zulassung in der Kritik
Keine bergrechtliche Zulassung als Blanko-Scheck für RWE