BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

BUND-Widerstand gegen BoA Neurath

2007: 3.000 Menschen protestierten auf der vom BUND initiierten Großdemo an der Kraftwerksbaustelle gegen den Klimakoller Neurath.

"BoA verschlingt Feldhamster"

[Auszug aus: "Zukunft statt Braunkohle - 30 Jahre Widerstand gegen Garzweiler II, 2014]

RWE Power reichte den Antrag auf Genehmigung zweier 1.100 MW-Blöcke des so genannten „Braunkohlenkraftwerks mit optimierter Anlagentechnik“ (BoA 2/3) im Frühjahr 2004 ein. Untermauert durch eine 51-seitige Stellungnahme beantragte der BUND im Oktober 2004, die Genehmigung zu versagen. In der Stellungnahme hatte der BUND neben der immissionsschutzrechtlichen Unverträglichkeit des Vorhabens auch auf die Unvereinbarkeit der Planung mit dem geltenden Naturschutzrecht, v.a. wegen eines vermuteten Vorkommens des europarechtlich streng geschützten Feldhamsters (Cricetus cricetus), hingewiesen. Entgegen der Auffassung des BUND, schloss die RWE Power AG in ihrem Antrag jedoch das Vorkommen des Feldhamsters auf der Vorhabensfläche kategorisch aus.

Das war jedoch eine offenbar bewusste Täuschung seitens RWE. Offenbar aufgeschreckt durch das juristische Tauziehen um ein Aachener Gewerbegebiet „Avantis“, dessen Realisierung lange wegen des dortigen Feldhamster-Vorkommens fraglich war, wurden die tatsächlichen Fakten verheimlicht.

Offenbar wurde die RWE-Strategie, als im November 2004 auf einmal ein Gutachten im Auftrag der RWE Power AG in den BUND-Briefkasten flatterte, dass den Nachweis eines Feldhamster-Vorkommens auf der geplanten Kraftwerksfläche lieferte. Der Absender blieb anonym. Das Gutachten erbrachte den Nachweis, dass die geplante Baustelle zum Lebensraum des Cricetus cricetus gehörte, drei Winterbaue – die zum Zeitpunkt der Erfassung logischerweise nicht benutzt wurden, konnten erfasst werden.

Der BUND nutzte das Gutachten zur Untermauerung seiner Argumentation und schlug auch öffentlich Alarm. Die Schlagzeile „Verschlingt BoA Feldhamster?“ war auch einfach zu schön. Da die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sowohl jede Störung dieser seltenen Tierart als auch jede Beschädigung oder Vernichtung deren Fortpflanzungs- und Ruhestätten verbietet, war der Nager natürlich nicht ohne juristische Relevanz.

Die Meldung schlug ein wie eine Bombe. Angesichts des beginnenden Landtagswahlkampfes begann die schwarz-gelbe Opposition unterstützt von der konservativen Presse den „Hamsterstreit“ gnadenlos zu instrumentalisieren. Schlagzeilen wie „Ich glaub’, mein Hamster bohnert! Darf so ein kleiner Nager ein ganzes Kraftwerk stoppen?“ („Bild“) oder „Die Macht der Hamster“ (Welt kompakt) heizten die Diskussion an. Der Chef der FDP-Landtagsfraktion Gerhard Papke witterte die Chance, die ungeliebte Naturschutzministerin Bärbel Höhn frontal anzugehen und sprach von einem „Stück aus dem Tollhaus“. Er forderte die Landesregierung auf, „den wild gewordenen BUND zu stoppen“. FDP-Chef Westerwelle verstieg sich sogar zum Vorwurf „politischer Korruption“. Großprojekte, so Westerwelle, würden solange verzögert, bis Gelder in ein Hamsterprogramm und in die Töpfe rot-grüner Netzwerke flössen. Der BUND reagierte ebenso deutlich. „Papke kann ich nicht ernst nehmen“, konstatierte BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen im taz-Interview. „Weder CDU noch FDP haben ein überzeugendes Energiekonzept. Stattdessen wollen sie die Atomenergie langfristig beibehalten. Das ist energiewirtschaftlicher Dünnschiss.“ Der BUND wehrte sich auch ansonsten nach Kräften und warnte vor einem „politischen Missbrauch der Umweltfrage“. „Der von Teilen der Politik konstruierte Gegensatz ‚Naturschutz oder Milliardeninvestition’ existiert nicht“, sagte der BUND-Landesvorsitzende Klaus Brunsmeier. Von Blockade könne keine Rede sein, allerdings gelte für alle Projekte, dass die Genehmigungsverfahren nach Recht und Gesetz ablaufen müssten.

Der „Feldhamsterkrieg“ eskaliert

Unzählige Schlagzeilen in der Landes- und Bundespresse folgten. DGB NRW-Chef Walter warf dem BUND „Ignoranz und pervertierte Moral“ vor, Ministerpräsident Peer Steinbrück betonte, dass „kein Hamster den Bau dieses Kraftwerks verhindern wird.“<span style="mso-spacerun:yes">  </span>Auch die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn verteidigte den Kraftwerksneubau („Das Land NRW braucht neue Kraftwerke wie das in Neurath, dazu auch neue Steinkohle- und Gaskraftwerke.“).

Im Wirtschaftsausschuss des Landtages lieferten sich Regierung und Opposition heftige Diskussionen um den Feldhamster. Zusätzlich machten die verschiedensten Verschwörungs-Theorien die Runde. Hinter allem stecke wohl eher RWE, mutmaßte der Grünen-Abgeordnete Reiner Priggen. Der Energieriese habe das Gutachten wohl lanciert, um sich vor seiner Bau-Verpflichtung zu drücken. Ins gleiche Horn stieß der NABU-Landesvorsitzende Josef Tumbrinck. RWE verfolge die „perfide Strategie“, das Ansehen des Artenschutzes zu ruinieren und versuche, den ungeliebten Kraftwerksbau zu verzögern. Dazu habe RWE den BUND durch das gezielte Zuspielen des Hamstergutachtens instrumentalisiert. Der NABU wiederum musste sich des Vorwurfs der Verschwendung von Steuergeldern seitens der FDP erwehren. Die FDP witterte in dem im Jahre 2001 aufgelegten „Artenhilfsprogramm Feldhamster NRW“, das von der NABU-Station in Wegberg koordiniert wird, eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme („die fest angestellten Feldhamsterschützer beschäftigen sich mit sich selbst“).

Die Grünen mutierten unter den Angriffen der Opposition zu glühenden Befürwortern des Kraftwerksneubaus. Umweltministerin Höhn sprach sich für eine schnelle Realisierung des Vorhabens aus („Braunkohlenkraftwerk darf nicht am Hamster scheitern“) und auch der energiepolitische Referent der grünen Landtagsfraktion und heutige Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer hielt einen Verzug des Neubaus für kontraproduktiv: „Der Neubau ist klimapolitisch sinnvoll, da es sich um ein modernes Braunkohlenkraftwerk mit geringerem Kohlendioxid-Ausstoß handelt.“ Die Gazetten sprachen ob der heftigen Debatte längst von einem „Feldhamsterkrieg“. FDP-Scharfmacher Gerhard Papke bezeichnete den Hamster als „tierische Wirtschaftsbremse“, „Rinderwahnsinn“, „Öko-Kampfgeschwader“ und „Polit-Hammel“ waren gegenseitige Beschimpfungen in der Landtagsdebatte.

Auch im Rückblick bleibt Bärbel Höhn dabei, dass sich der BUND in der Debatte von RWE hatte instrumentalisieren lassen. „Diese Feldhamsterdebatte ist ja von RWE losgetreten worden. Da hat der BUND einen schweren Fehler gemacht, weil er darauf eingestiegen ist“, ist Höhn noch heute sicher (HÖHN 2008). Die Debatte sei „bewusst von RWE losgetreten worden als gutes Argument gegen Grüne“.

Landtagswahl bringt Regierungswechsel – Kraftwerksgenehmigung kommt

Wesentlich sachlicher als in der politischen Debatte ging es dann während des Erörterungstermins im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ab dem 4. April 2005 in Grevenbroich zu. Der BUND, vertreten durch Geschäftsleiter Dirk Jansen, blieb bei seiner grundsätzlichen Kritik an dem Vorhaben („energiewirtschaftlich überflüssig, klimaschutzpolitisch fatal, umweltrechtlich bedenklich“). Unterstützung bekam der BUND von Greenpeace-Aktivisten, die am Rande des Erörterungstermins gegen das Vorhaben demonstrierten und der Pulheimer Bürgerinitiative „Leben ohne BoA“. Nach nur zwei Tagen wurde der Erörterungstermin beendet.

Bei der Landtagswahl am 22.Mai 2005 hagelte es dann eine deftige Niederlage für die Regierung von Peer Steinbrück, es kam zum schwarz-gelben Wechsel. Noch am Wahlabend machten führende Grüne dafür vor allem den BUND und den Feldhamsterstreit verantwortlich, eine Legende, die von einigen Spitzengrünen bis heute gepflegt wird.

Am 23. Juni erteilte dann die Bezirksregierung Düsseldorf die Genehmigung für den Bau und den Betrieb des BoA-Kraftwerks Neurath. Die Genehmigung erfolgte perfider Weise wenige Tage vor Inkrafttreten der EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie, die dem BUND erstmals ein Klagerecht gegen Kohlekraftwerke einräumte. So war dem BUND der Weg einer Klage versperrt. Die im Oktober 2005 eingelegte EU-Beschwerde gegen das Kraftwerk wurde schließlich nach eingehender Prüfung durch die Europäische Kommission am 15. November 2007 abgelehnt.

Damit war zwar formal der Widerstand gegen das BoA-Kraftwerk beendet, doch der RWE-Klimakiller avancierte in der Folge trotzdem zu einem Symbol der verfehlten Energiepolitik von Bund und Land.

 

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