Altlablagerungen und Kraftwerksreststoff-Deponien - Tickende Zeitbomben in den Tagebauen?
Bei dem Betrieb von Braunkohlenkraftwerken fallen erhebliche Mengen Abfälle an, die einer für die Umwelt schadlosen Entsorgung zugeführt werden müssen. Den größten Anteil daran haben die Kraftwerksaschen, also die mineralischen Bestandteile der Kohle, die nicht verbrannt werden können. Im Rheinischen Revier schwankt der Aschegehalt je nach Tagebau, Flözlage, Flöztiefe und Verunreinigungen in der Kohle zwischen 1,5 % und 8,0 %. Diese Aschen sind keineswegs harmlos: Neben z.B. verschiedenen Schwermetallen wie Quecksilber kommen darin auch Radionuklide in aufkonzentrierter Form vor (siehe BUNDhintergrund "Radioaktivität aus Kohlekraftwerken"). Wurden die Kraftwerksreststoffe früher mit dem Abraum in die offenen Tagebaugruben verkippt, so werden sie heute auf Deponien in den Tagebauen entsorgt. Doch was sind die Langzeitfolgen?
Altlasten in den Tagebauen
Werden die Kraftwerksabfälle heute immerhin auf Deponie der Klasse I abgelagert (s.u.), so wurden die Schlacken und Aschen früher einfach in den Tagebauen verkippt. Weder die genaue Lage noch der Umfang dieser Altlasten ist heute präzise bekannt. Die vom Rhein-Erft-Kreis erstellte Karte ist zum Beispiel mit dem Hinweis versehen worden, "dass die Bereiche aufgrund verschiedener Informationen mit unterschiedlicher Zuverlässigkeit ermittelt werden konnten und die Grenzen in der Regel nicht präzise sind." Keine dieser "Altdeponien" verfügt über Basisabdichtungen. Hier ticken also ökologische Zeitbomben unbekannten Ausmaßes.
Derzeit läuft - angestoßen vom BUND - eine Bestandaufnahme mit historischer Erkundung der Kreise im Braunkohlenrevier und der RWE Power, wo welche Menge Braunkohlenaschen abgelagert wurden.
Im zweiten Schritt soll dann untersucht werden, welche Auswirkungen eines Kontaktes von Braunkohlenaschen mit sauren Kippenwässern auf die Grundwasserbeschaffenheit zu befürchten sind. Insbesondere soll auch der Frage der Mobilisierbarkeit von Quecksilber und anderen Schadstoffen nachgegangen werden. Dazu wurde eine zwischen dem BUND, den betroffenen Kreisen, dem Erftverband, RWE, den Bezirksregierungen und dem Umweltministerium abgestimmte Konzeption von Laborversuchen erstellt.
KWR-Deponien sollen Sicherheit bringen
Seit Ende der 1980er Jahre müssen die Kraftwerksreststoffe (KWR) auf entsprechende Deponien gebracht werden. Etwa 5,3 Millionen Tonnen Kraftwerksreststoffe werden derzeit pro Jahr auf den RWE-Deponien abgelagert.
Im Rheinischen Braunkohlenrevier werden derzeit noch vier KWR-Deponien betrieben:
- Fortuna/Garsdorf
- Garzweiler
- Vereinigte Ville
- Inden II (Neu-Lohn).
Bis 2010 wurden zudem auf der Deponie Inden Abfälle abgelagert. Das Gesamtvolumen der KWR-Deponien beträgt 244 Millionen Kubikmeter Abfall (vgl. Abb.).
Nach der derzeitigen Zuordnung gemäß der Deponieverordnung bzw. der Abfallablagerungsverordnung entsprechen die KWR-Deponien laut der Genehmigungsbehörden „ im Wesentlichen“ der Deponieklasse I (Typ Mineralstoffdeponie für nicht gefährliche Abfälle). Die Deponie Vereinigte Ville wurde 1982 genehmigt; die KWR-Deponien Inden, Fortuna und Garzweiler wurden in den Jahren 1988/89 durch das Landesoberbergamt Nordrhein-Westfalen genehmigt. Nach dem damaligen Stand der Technik und entsprechend den Vorgaben der TA-Siedlungsabfall wurde für alle Standorte jeweils eine Basisabdichtung bestehend aus 3 x 20 cm mineralischer Dichtung (Ton) festgeschrieben. Die Aschen sollen sich nach der Ablagerung durch puzzolanische Effekte - d.h. Verfestigung der Asche bzw. der Kraftwerksreststoffe durch Kalk- und Wasserzugabe zu einem nahezu undurchlässigen festen Körper verfestigen. Inden II wurde am 13. Mai 2009 durch die Bezirksregierung Köln genehmigt.
Bei der Wahl des Standortes ist gemäß Deponieverordnung insbesondere zu berücksichtigen, dass die geologischeen und hydrogeologischen Bedingungen einen permanent zu gewährleistenden Abstand der Oberkante der geologischen Barriere vom höchsten zu erwartenden freien Grundwasserspiegel von mindestens 1 m gewährleisten.
Keine dauerhafte Sicherheit garantiert
Doch sind die Deponien auch tatsächlich geeignet, eine schadlose Entsorgung der kontaminierten Kraftwerksaschen und anderer Abfälle zu gewährleisten?
Die Abfallanalysendatenbank ABANDA des LANUV NRW enthält eine statistische Auswertung einer Reihe von chemischen Analysen zu den hier relevanten Abfallschlüsseln 10 01 01 und 10 01 02. Bei einem Aufkommen von 5 Millionen Tonnen Kraftwerksaschen pro Jahr werden damit nach Berechnungen des Ingenieurbüros für Umweltschutztechnik (2016) mindestens 1.500 Tonnen Schwermetalle abgelagert. Laut Landesumweltamt liegt der Quecksilbergehalt von Braunkohlenaschen zwischen 0,01 und 2,28 mg/kg. Im Worst Case fielen damit allein etwa 11 Tonnen Quecksilber an. Dazu kommen große Mengen Kupfer, Cadmium, Chrom, Zink, Blei, Nickel, Thallium und Arsen. Auch die radioaktiven Substanzen der Uran-235-, der Thorium-232- und der Kalium-40-Reihe, die derzeit noch nicht quantifiziert werden können, landen auf den Deponien.
Auf dieser Grundlage hat das Ökoinstitut (Stefan Alt, Ökoinstitut 2013) überschlägig berechnet, dass in den KWR-Deponien mit einer jährlichen Schwermetallfracht im Eluat von bis zu 2.500 kg in den Aschen und Kesselschlacken und bis zu 2.900 kg in den Flugaschen zu rechnen ist.
Die Auswertungen des Ökoinstituts zeigen ferner, dass im Rahmen von Eluatuntersuchungen Maximalwerte dokumentiert sind, die deutlich oberhalb der zulässigen Konzentration für die Deponieklasse DK I liegen. Einzelne, dem BUND vorliegende Prüfberichte bestätigen die Überschreitung einzelner Zuordnungswerte. Zwar lässt die Deponieverordnung für Monodeponien Ausnahmen zu, aus Gründen der Umweltvorsorge halten wir diese aber für nicht gerechtfertigt.
Waren die KWR-Deponien gemäß der ursprünglichen Genehmigungen allein für wenige Abfallarten genehmigt (Kraftwerksaschen, REA-Gips), so erlaubten die Bergbehörden nachträglich die Ablagerung von weiteren 20 Abfallarten (s. Abb.).
Angesichts der hohen Schadstofffracht hält der BUND eine Zuordnung der Kraftwerksabfälle zur Deponieklasse I für fraglich. Laut Deponieverordnung gilt diese für mäßig belastete (nicht gefährliche) Abfälle, also in der Regel für mäßig belasteten Erdaushub und Bauschutt und vergleichbare mineralische gewerbliche Abfälle.
Die Deponien sind allein durch eine 60 cm mächtige Tonschicht "gesichert". Dies muss gemäß Deponieverordnung auch nicht vollständig dicht sein. Eine gewisse Menge austretendes Sickerwassers ist zulässig. Eine zweite Basisabdichtung zum Beispiel durch eine Kunststoffdichtungsbahn ist nur für Deponien der Deponieklasse II und III vorgesehen. Mit Schwermetallen und Radionukliden angereicherte Kraftwerksaschen müssen nach BUND-Auffassung zwingend auf solche Deponien der höheren Klasse abgelagert werden. Sie verfügen über ungleich höhere Standards in Bezug auf den Deponiestandort und die Deponieabdichtung.
Gefahren durch Grundwasseranstieg
Das Ökoinstitut hat bereits in einer früheren Untersuchung aus dem Jahre 1987 gefordert, dass bei Deponien für Aschen und Schlacken aus der Braunkohlenfeuerung die Unterseite der Basisabdichtung grundsätzlich mindestens 1 m oberhalb des höchsten nach Ende der Sümpfungsmaßnahmen zu erwartenden Grundwasserstands liegen muss. Das ist gem. Deponieverordnung inzwischen auch für Deponien - auch die der Deponieklasse I - vorgeschrieben. Allerdings sind davon im begründeten Einzelfall Ausnahmen möglich. RWE nimmt diese für sich in Anspruch.
Tagebaurestlöcher, die als Monodeponien für Kraftwerksreststoffe genutzt wurden oder werden, und die nach Beendigung von Sümpfungsmaßnahmen wieder Grundwasserkontakt erhalten sollen, können aber nach BUND-Auffassung die wirksame Trennung von drückendem Grundwasser und eingelagerten Abfällen nicht dauerhaft gewährleisten.
Aber genau dieses Szenario ist zukünftig wahrscheinlich. Erst lange nach Tagebauende und Einstellung der Sümpfungsmaßnahmen wird der Grundwasserspiegel wieder seinen ursprünglichen Flurabstand erreichen. Nach Auskunft des NRW-Umweltministeriums werden einige KWR-Deponien, in ca. 80 Jahren teilweise im Grundwasser liegen. Das sei von der Zulassungs- und Genehmigungsbehörde berücksichtigt worden.
Betreiber und Behörden argumentieren, dass sich die Aschen nach der Ablagerung durch puzzolanische Effekte - d.h. Verfestigung der Asche bzw. der Kraftwerksreststoffe durch Kalk- und Wasserzugabe - zu einem nahezu undurchlässigen festen Körper verfestigen. Ob aufgrund puzzolanischen Reaktion dann aber tatsächlich keine Schadstoffe ausgetragen werden, ist wissenschaftlich höchst umstritten. Die Positiv-Einschätzung basiert allein auf Laborversuchen Mitte der 1980er Jahre. Letztendlich wird eine Verifikation dieser Annahme erst mit dem erfolgten Grundwasseranstieg in ca. 80 Jahren möglich.
Es ist also erforderlich, für den Fall des Eindringens von Grundwasser in die Deponie oder des Auftretens von sanierungsbedürftigen Grundwasserkontaminationen entsprechende Konzepte vorzubereiten und auch die Verantwortlichkeiten und Kostenträgerschaft dauerhaft zu regeln (s.u.).
Stresstest für Erdbeben fehlt
Die Niederrheinische Bucht ist ein von Natur aus tektonisch höchst aktives Gebiet. Darüber hinaus wurden durch den massiven Eingriff der Großtagebaue die Auflastverhältnisse der oberen Erdkruste geändert. Dazu kommt, dass es durch das Absenken des Grundwassers bis ins Liegende der Kohle und den Grundwasserwiederanstieg nach Tagebauende zu Ausgleichsbewegungen entlang vorhandener Störungen in Form von tagebauinduzierter Seismizität kommen kann. Bergsenkungen kommen als möglicher Beeinflussungsfaktor der Sicherheit der KWR-Deponien ebenso hinzu, wie mögliche Standsicherheitsprobleme von Böschungen der Restlöcher und –seen. Zuletzt hatte eine Tagebau induziertes Beben in Bergheim für Aufregung gesorgt (22.12.2015).
Insofern ist es zwingend erforderlich, die offenbar im Zuge der Genehmigungsverfahren für die KWR-Deponien unterlassenen Prüfungen des Sachverhaltes nachzuholen und ggf. Nachbesserungen zur Sicherung der Deponiekörper anzuordnen ("Stresstest" für Deponien). Die alten Planfeststellungsbeschlüsse für die Deponien Vereinigte Ville, Fortuna, Garzweiler und Inden enthalten dazu keinerlei Ausführungen. Ein "Stresstest" ist unbedingt nachzuholen.
Sicherheitsleistung unzureichend
Zur Sicherstellung der Rekultivierung sowie zur Verhinderung oder Beseitigung von Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit nach Stilllegung einer Deponie sieht § 36 Absatz 4 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) i.V.m. § 18 der Verordnung über Deponien und Langzeitlager (Deponieverordnung - DepV) vor, dass der Betreiber eine Sicherheit leistet.
Im Rahmen einer Entscheidung über nachträgliche Auflagen zur Planfeststellung hat die Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Bergbehörde im Marz 2014 entsprechende Sicherheitsleistungen festgelegt:
- KWR-Deponie Fortuna: 13,2 Mio. Euro
- KWR-Deponie Garzweiler: 17,2 Mio. Euro,
- KWR-Deponie Vereinigte Ville: 9,34 Mio. Euro,
- KWR-Deponie II Inden: 11,00 Mio. Euro.
Für die KWR-Deponie Inden I erfolgte noch keine Festsetzung.
Die Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung ergibt sich gemäß der Bescheide im Wesentlichen aus den Kosten zur Herstellung eines qualifizierten Oberflächensystems und zur Grundwasserüberwachung über einen Zeitraum von 30 Jahren sowie für die Rekultivierung. Nach Ansicht des BUND ist das vollkommen unzureichend.
Angesichts der Tatsache, dass viele mögliche schädliche Umwelteinwirkungen der Deponie erst in 80 Jahren oder später auftreten werden, ist die Nachsorge dauerhaft sicherzustellen. Bei der Festsetzung des Umfangs der Sicherheitsleistung für den planmäßigen Nachsorgebetrieb der Deponien müssen unseres Erachtens auch alle schon heute absehbaren Kenntnisse über möglicherweise eintretende Risiken berücksichtigt werden.
§ 18 (2) Deponieverordnung sieht vor, dass bei der Festsetzung des Umfangs der Sicherheit ist ein planmäßiger Nachsorgebetrieb zu Grunde zu legen und bei Deponien der Klassen I bis IV von mindestens 30 Jahren auszugehen ist. Angesichts des hohen Schadpotenzials der KWR-Deponien ist nicht ersichtlich, warum die Genehmigungsbehörden für die Festlegung der Sicherheitsleistung lediglich auf eine Bezugszeitraum von 30 Jahren abstellen. Erweisen sich die Tagebaudeponien als "tickende Zeitbomben" haftet zukünftig im Zweifel also die Allgemeinheit. RWE Power könnte die Folgekosten mit dem Segen der Behörden auf den Steuerzahler abwälzen. Da überdies nicht gesagt ist, dass RWE Power auch zukünftig existiert und ggf. haftbar gemacht werden kann, muss schon jetzt eine Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens 80 Jahren gesichert werden.
Darüber hinaus halten wir es für erforderlich, Art und Höhe der Sicherheitsleistung auch durch unabhängige Sachverständige ermitteln zu lassen.
Ewigkeitslasten berücksichtigen – Fonds einrichten
Mit den Kraftwerksreststoffdeponien und den Altablagerungen werden somit Ewigkeitslasten generiert, für deren Beseitigung der Verursacher, nämlich die RWE Power AG, nur rudimentär haftet. Angesichts des Risikopotenzials der KWR-Deponien erscheint die insgesamt geleistete Sicherheit von knapp 51 Millionen Euro vollkommen unzureichend. Für die Altlasten in den Tagebauen existiert überhaupt keine Regelung.
Auch angesichts der weiteren von RWE Power AG verursachten Folgekosten für Mensch und Umwelt (z.B. durch Kippenversauerung, Grundwasserabsenkung, Bergsenkungen, Restseen, …) ist es längst überfällig, vom Bergbautreibenden eine Sicherheit in Form eines Ewigkeitslasten-Fonds abzuverlangen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum im Bereich des Steinkohlenbergbaus ein solcher existiert, nicht aber für das Rheinische Braunkohlenrevier.
Die Bewältigung der Folgen des Braunkohlenbergbaus werden die nachfolgenden Generationen noch lange nach Tagebauende beschäftigen. Es ist an der Zeit, den Verursacher dafür in die Pflicht zu nehmen.