BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Wald vor Wild?

Der viel zitierte Wald-Wild-Konflikt ist tatsächlich ein Holz-Jagd-Konflikt…

"Konflikte mit Paarhufereinflüssen sind waldbaulich verursacht und damit hausgemacht", sagt der BUND-Experte Holger Sticht.  (Steffen Hoeft)

Ein Standpunkt von Holger Sticht.

Als die Rotbuche, einst verdrängt durch die letzte Eiszeit, vor etwa 6.000 Jahren wieder erfolgreich nach Mitteleuropa einwandern konnte, war Nordrhein-Westfalen seit Jahrtausenden bereits flächendeckend durch Rothirsch und Reh, zusätzlich durch die später vom Menschen ausgerotteten Wisent, Pferd, Elch und Ur besetzt. Dass diese Tierarten von vielen Förstern heute als Konkurrenten der Waldentwicklung gesehen werden, kann also nicht an unseren heimischen Pflanzenfressern liegen.

Der in den 1970er Jahren durch den bayerischen BUND geprägte Leitsatz „Wald vor Wild“ problematisiert nicht Paarhufer an sich, sondern das Phänomen, dass Jäger diese wilden Tierarten gebietsweise als Schalenwild (= jagdbare Paarhuferart) wie in einem Freiland-Zoo hegen. Eine solche Hege konterkariert dann sowohl waldwirtschaftliche Ziele als auch naturnahe Zustände.

Konflikte mit Paarhufereinflüssen sind ansonsten in NRW v.a. waldbaulich verursacht und damit hausgemacht. In Altersklassenforsten und Wirtschaftswäldern fehlen meist Strukturen, die Naturverjüngung in naturnahen Waldökosystemen Konkurrenzvorteile verschafft: Verlichtungsstadien, auf denen sich bspw. Brombeere oder Weißdorn entwickeln können, die eine Verbissgegenstrategie und damit „Jugendschutz“ für Bäume bieten oder auch der natürliche Verbissschutz durch umgestürzte Bäume. Erst aufgrund dieses Mangels kommen im Falle langer Wald-Feld-Grenzen die günstigen Nahrungsverfügbarkeiten, die landwirtschaftliche Nutzflächen bieten können, und damit evtl. höhere Populationsdichten von Paarhufern mit entsprechenden Einflüssen auf angrenzende Waldflächen zum Tragen.

Eine weitere Konfliktursache ist der seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich gestiegene Anteil von Maisanbauflächen. Mais verbessert nicht nur die Nahrungsgrundlage, sondern bietet auch zusätzliche Deckung. Hier ist eine Umstellung auf alternative Pflanzenarten erforderlich, auch weil der Maisanbau eine der Hauptursachen für den Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft darstellt. Im Falle des Wildschweins haben sich mobile E-Zäune rund um Maisäcker als effektive Methode erwiesen, um gegenseitige Wechselwirkungen zwischen Wald und Feld zu vermeiden.

Es bleibt also festzuhalten: es gibt einen Interessenkonflikt zwischen den verschiedenen Nutzungsformen Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Jagd, nicht aber zwischen naturnahen Waldökosystemen und Pflanzenfressern. Der so genannte „Wald-Wild-Konflikt“ ist vielmehr ein „Holz-Jagd-Konflikt“. „Wild“ ist Teil des Waldes, und eine ökologische Waldwirtschaft arbeitet mit dem Reh ebenso wie mit Rötelmaus oder Maikäfer.

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