BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Tagebau Garzweiler: Keine bergrechtliche Zulassung als Blanko-Scheck für RWE

23. November 2022 | Braunkohle, Garzweiler, Klimawandel, Kohle, Energiewende

BUND empfiehlt zeitlich und räumlich begrenzte Tagebauzulassung

Lützerath muss bleiben. [Foto: Dirk Jansen] Lützerath muss bleiben. [Foto: Dirk Jansen]

Vor Pressevertreter*innen haben heute die Organisation Alle Dörfer bleiben, der BUND und der auf das Bergrecht spezialisierte Fachanwalt Dirk Teßmer die Landesregierung aufgefordert, keine Hauptbetriebsplanzulassung für den Tagebau Garzweiler zuzulassen, der einen Zeitraum von drei Jahren sowie die Inanspruchnahme der Ortslage Lützerath umfasst. Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND NRW, begründet das wie folgt:

"Die bergrechtliche Zulassung in Form des Hauptbetriebsplans läuft zum 31.12.2022 aus. Ungeachtet aller anderen Entscheidungen heißt das: Ohne eine neue Hauptbetriebsplanzulassung oder eine Verlängerung der jetzigen steht der Tagebau zu Neujahr still.

Auch ist klar, dass die Ortslage Lützerath zum Ende des Jahres noch existieren wird, da RWE entgegen der ursprünglichen Abbauplanung um Jahre hinterherhinkt und die beabsichtigte Räumung laut Aussagen des Aachener Polizeipräsidenten nicht mehr in diesem Jahr möglich ist.

Die Landesregierung unter Federführung von Energieministerin Mona Neubaur hat es dabei jetzt in der Hand, zu entscheiden, wie die weitere Tagebauführung erfolgt. Jedenfalls ergibt sich weder aus der mit RWE getroffenen Vereinbarung über den Kohleausstieg 2030, noch durch die Tatsache, dass der Landwirt Eckardt Heukamp sein Grundabtretungsverfahren beendet hat, ein unbedingter Rechtsanspruch von RWE, eine bergrechtliche Zulassung in dem beantragten Umfang zu erhalten.

Die Ministerin hat also Gestaltungsspielraum. Und den muss sie nutzen.

Gleichwohl beabsichtigt die Landesregierung offenbar, dem RWE-Antrag auf Zulassung eines Hauptbetriebsplans für den Zeitraum vom 1.1.2023 bis 31.12.2025 zu entsprechen. Davon haben wir der Ministerin in einem heute übermittelten Schreiben eindringlich abgeraten. Denn damit würden für die nächsten drei Jahre Festlegungen zur Förderung von etwa 90 Millionen Tonnen Braunkohle und der zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unnötigen Zerstörung der Ortslage Lützerath getroffen. Und dies ohne Not und unter Missachtung noch ausstehender politischer und gesetzlichen Entscheidungen.  

Der Bundestag berät momentan eine Änderung des KVBG, welche den früheren Ausstieg aus der Braunkohlenverstromung – und damit der Braunkohlenförderung – in NRW regeln soll. Gleichzeitig steht an, die Zeitpunkte der Überprüfung, zu welchem Zeitpunkt noch in welchem Umfang Kohlestrom in den Netzen sein soll, vorzuverlegen, um so eine frühestmögliche Reduzierung des Kohleanteils erwirken zu können.

Zuvor hatte ja bereits die Landesregierung von NRW beschlossen, dass eine neue energiepolitische Leitentscheidung erarbeitet wird, welche insbesondere auf erhebliche Änderungen im Hinblick auf die Dauer und den Umfang von Braunkohlenverstromung und Tagebauentwicklung ausgerichtet sein soll.

Beide Entscheidungen stehen noch aus. Beide Entscheidungen haben natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Frage, wieviel Kohle noch gefördert werden darf, um einerseits die energiewirtschaftlichen Bedarfe zu erfüllen, andererseits aber auch die im Klimaschutzgesetz verankerten Sektorziele zu erreichen.

Diese politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen bei den bergrechtlichen Zulassungsentscheidungen zwingend berücksichtigt werden. Das geht aber nur, wenn der RWE Power AG jetzt nicht für drei Jahre ein Blankoscheck zum weiteren Abbaggern und der Inanspruchnahme neuer Flächen erteilt wird.

Wegen der dynamischen energiewirtschaftlichen, klimaschutzpolitischen und rechtlichen Situation sowie der noch ausstehenden Klärung wesentlicher Grundlagen haben wir deshalb Ministerin Neubaur aufgefordert, RWE die Zulassung eines Hauptbetriebsplans 2023-2025 zu versagen. Stattdessen schlagen wir vor, die noch bestehende bergrechtliche Zulassung befristet zu verlängern und dabei auf die bergbauliche Inanspruchnahme der Ortslage Lützerath zu verzichten."


Zum bergrechtlichen Hintergrund:

Bekanntermaßen ist in § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG geregelt, dass die für die Zulassung von Betriebsplänen zuständige Behörde eine Aufsuchung oder eine Gewinnung von Bodenschätzen „beschränken oder untersagen kann, soweit ihr überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen“.

Bei der Prüfung, ob eine Beschränkung oder Untersagung zu erfolgen hat, spielen insbesondere auch die auf der höherrangigen Gesetzes- und Planungsebene vorhandenen bzw. in Wandelung befindlichen Grundlagen eine entscheidende Rolle. Gegenwärtig werden sowohl auf der bundes- wie auch auf der landesrechtlichen Ebene sowie im Bereich der Energiepolitik relevante Änderungen betrieben.  

So steht eine Änderung des KVBG zur Diskussion und Entscheidung durch den deutschen Bundestag, welche einen früheren Ausstieg aus der Braunkohlenverstromung – und damit der Braunkohlenförderung – in NRW vorsieht. Es steht an, die Zeitpunkte der Überprüfung, zu welchem Zeitpunkt noch in welchem Umfang Kohlestrom in den Netzen sein soll, vorzuverlegen, um so eine frühestmögliche Reduzierung des Kohleanteils erwirken zu können.

Zuvor hat bereits die im Mai neu gewählte Landesregierung von NRW beschlossen, dass eine neue energiepolitische Leitentscheidung erarbeitet wird, welche insbesondere auf erhebliche Änderungen im Hinblick auf die Dauer und den Umfang von Braunkohlenverstromung und Tagebauentwicklung ausgerichtet sein soll. Das diesbezügliche Verfahren ist dem Vernehmen nach eingeleitet. Die neue energiepolitische Leitentscheidung der Landesregierung von NRW soll im Sommer vorliegen. Im Zuge dessen werden neu zu beauftragende und bereits vorliegende Begutachtungen zu allen Fragen der Entwicklung und des Auslaufs sowie der Rekultivierung von Tagebauflächen, des Energiebedarfs und des von Braunkohlestrom befristet noch abzudeckenden Anteils, der Inanspruchnahme von Flächen und der Implikationen in verschiedene Sach- und Lebensbereiche zu prüfen sind. Diese werden der Öffentlichkeit mit der Möglichkeit der Beteiligung am Verfahren und der Abgabe von Stellungnahmen zugänglich gemacht. Am Ende des Prozesses steht eine politische und planerische Abwägungsentscheidung der Landesregierung, welche die Verfahren der Raum- und Landesplanung prägt.

In dieser Leitentscheidung wird die Landesregierung von NRW auch darlegen müssen, welche Maßnahmen ergriffen werden, um das durch die Verlängerung von Kraftwerkslaufzeiten bedingte Abweichen von einem mit dem Klimaschutzgesetz kompatiblen CO2-Reduktions- und Kohleausstiegspfad zu kompensieren. Vor diesem Hintergrund wäre es ausgesprochen kontraproduktiv, rechtlich fragwürdig sowie politisch inakzeptabel, jetzt eine bergrechtliche Zulassung zu erteilen, welche die Verfeuerung von 90 Millionen Tonnen Braunkohle innerhalb der Jahre 2023 bis 2025 ermöglicht.

Dieser Vorgang der Etablierung einer neuen energiepolitischen Leitentscheidung und deren Anwendung ist aufgrund der Regelung des § 48 Abs. 2 BBergG auch für die Entscheidung über die Zulassung von bergrechtlichen Betriebsplänen relevant, da (erst) im Sommer 2023 – nach Abschluss des Prozesses zur Etablierung einer neuen energiepolitischen Leitentscheidung – Klarheit darüber besteht, in welchem Umfang und in welchen zeitlichen und räumlichen Grenzen der Tagebau Garzweiler II noch weitergeführt und wie dieser zum Auslauf gebracht wird.

Während der zeitliche Geltungsbereich der aktuellen Hauptbetriebsplanzulassung im Dezember 2022 endet, ist dessen räumlicher Geltungsbereich noch nicht entsprechend der ursprünglichen Planung abgearbeitet. Insbesondere sind die Möglichkeiten, den Tagebau innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der bisherigen Zulassungsentscheidung noch weiter fortzuführen, noch nicht erschöpft. Die Menge der bergtechnisch zweifelsfrei noch gewinnbaren Braunkohle liegt gem. den bekannt gewordenen gutachterlichen Aussagen mindestens bei 16 Mio. Tonnen für das Jahr 2023. Bei dieser Abschätzung wurden allerdings nicht alle denkbaren und durchaus realistischen Tagebauszenarien betrachtet.

Selbst unter Ansatz einer RWE-seitig geplanten und allein durch das BET-Gutachten gestützten Jahresabbaumenge von ca. 32 Mio. t Braunkohle besteht somit mindestens noch bis Sommer 2023 – und damit bis zum Abschluss des Verfahrens zur Aufstellung und Beschlussfassung der neuen energiepolitischen Leitentscheidung – keine Besorgnis, dass der Tagebau Garzweiler II zum Stillstand kommen und keine Braunkohle mehr an die angeschlossenen Kraftwerke liefern könnte. 

In dieser Situation ist es nicht zu legitimieren, bereits einen bergrechtlichen Hauptbetriebsplan für den Zeitraum 2023 - 2025 zuzulassen, mit welchem im Hinblick auf die erst noch zutreffenden politischen und gesetzlichen Entscheidungen schon vorab Fakten geschaffen werden.  

Vor diesem Hintergrund ist es daher nicht nur politisch, sondern auch rechtlich geboten, einem solchen Zulassungsantrag die Zulassung zu versagen.

RWE ist vielmehr aufzufordern, einen Antrag auf Verlängerung des Geltungszeitraums der bestehenden Hauptbetriebsplanzulassung bis Sommer 2023 vorzulegen, über den dann zu entscheiden ist. Dafür, dass dies möglich ist, gibt es hinreichend Beispiele. Entsprechendes wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Beschränkung der Weiterführung des Tagebaus Hambach nach der Entscheidung zur (zunächst vorläufigen und sodann endgültigen) Erhaltung der Restflächen des Tagebaus Hambach seitens RWE und des Bergamts praktiziert.

Nötigenfalls wäre über die bergaufsichtsrechtlichen Bestimmungen (§§ 69 ff., insbesondere § 71 BBergG) sicherzustellen, dass zwischenzeitlich kein dringenden öffentlichen Interessen zuwider laufender Zustand eintritt. Auch hierfür gibt es Beispiel, vgl. etwa die Anordnungen zur begrenzten Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde nachdem die Verwaltungsgerichte in Brandenburg die Vollziehbarkeit der Hauptbetriebsplanzulassung aufgrund einer im Eilverfahren festgestellter Rechtswidrigkeit der Zulassungsentscheidung ausgesetzt hatten.

Nach unserem Verständnis wäre die Verlängerung des Geltungszeitraums der Hauptbetriebsplanzulas-sung allerdings entweder RWE-seitig unter Ausnahme des Bereichs der Ortslage Lützerath zu beantragen oder – andernfalls – entsprechend reduziert zuzulassen. Dies begründet sich mit der soweit ersichtlich jedenfalls mindestens im ersten Halbjahr 2023 nicht bestehenden Notwendigkeit, den Tagebau in diesem Bereich im Vorschnitt weiter voranzutreiben sowie dem bürgerschaftlichen Engagement und insoweit auch öffentlichen Interesse, den Weiler zumindest einstweilen noch zu erhalten.  

Ob Lützerath letztendlich erhalten werden kann und soll, ist im Rahmen der energiepolitischen Leitentscheidung zu prüfen und hierüber sodann zu beschließen. Ein Ergebnis, das aus einem transparenten Prozess und einer wohlbegründeten Entscheidung resultiert, wird von den unterschiedlichen Interessengruppen akzeptiert werden können und kann dann – in die eine bzw. andere Richtung – legitimiert durchgesetzt werden.

Zur Übersicht

BUND-Bestellkorb