BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Strukturwandel im Rheinischen Revier: Bündnis legt 10-Punkte-Plan für einen klimagerechten und naturverträglichen Wandel vor

31. Januar 2023 | Braunkohle, Energiewende, Freiraumschutz, Klimawandel, Landwirtschaft

Wirtschaft, Umwelt und Soziales endlich zusammen denken

Stellten heute in der Landespressekonferenz den 10-Punkte-Plan vor. Dirk Jansen (BUND), Heide Naderer (NABU) und Bernd Schmitz (AbL). [Foto: B. Königs) Stellten heute in der Landespressekonferenz den 10-Punkte-Plan vor. Dirk Jansen (BUND), Heide Naderer (NABU) und Bernd Schmitz (AbL). [Foto: B. Königs)

Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure fordert eine Neujustierung des Strukturwandelprozesses im Braunkohlenrevier. Vertreter*innen des Bündnisses stellten heute in Düsseldorf einen „10-Punkte-Plan für einen klimagerechten und naturverträglichen Wandel im Rheinischen Revier“ vor. Darin fordern sie eine Abkehr von der vorrangig auf allein wirtschaftliche Belange ausgerichteten Strukturwandelpolitik. Den Herausforderungen der Klima- und Biodiversitätskrise könnte nur durch die konsequente sozial-ökologische Transformation begegnet werden, ein „Weiter-so-wie-bisher“ dürfe es nicht geben. Gleichzeitig forderte das Bündnis eine stärkere Berücksichtigung von Initiativen und Ideen aus der Zivilgesellschaft. Zu dem Bündnis gehören u.a. die Landesverbände des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie des Naturschutzbund Deutschland (NABU), die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) das Eine Welt Netz NRW, die Klima-Allianz Deutschland und verschiedene kirchliche Gruppen.

Dr. Heide Naderer, Landesvorsitzende des NABU: "Diverse Akteure des Strukturwandel-Prozesses vermitteln mit ihren Forderungen für ein Weiter-So der rein ökonomischen Priorisierung den Eindruck, als lebten wir nicht inmitten der Klima- und Biodiversitätskrise. Der Strukturwandelprozess muss sich am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens und an dem kürzlich festgelegten 30 Prozent-Schutzgebietsziel des internationalen Vertragsabkommens für Biodiversität aus Montréal orientieren. Deshalb muss die Bezirksregierung Köln jetzt in den vorgezogenen Planungen zwingend Flächen für den Biodiversitätsschutz festschreiben.  Nur so kann der ganze Prozess den Zielen überhaupt gerecht werden.“

Mit der Sonderplanungszone Rheinisches Revier drohten bewährte Umwelt- und Beteiligungsstandards zugunsten beschleunigter Genehmigungsverfahren ausgehebelt zu werden, so die Kritik. Gleichzeitig werde der Druck auf den Freiraum zur Schaffung neuer Industrie- und Gewerbeflächen zusätzlich erhöht. Auch die Energiewende komme nicht richtig in Schwung.

Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des BUND: „Die Auseinandersetzung um Lützerath zeigt, wie schwer Nordrhein-Westfalen der notwendige Ausstieg aus der Braunkohlengewinnung fällt. Anstatt der Braunkohle ein goldenes Ende zu bescheren und neue fossile Gaskraftwerke zu planen, muss die Region endlich konsequent umsteuern. Der unverbindliche Gigawatt-Pakt zum Ausbau erneuerbarer Energien wird diesem Anspruch nicht gerecht. Klimaschutz durch erneuerbare Energien und Klimawandelanpassung durch die Schaffung eines Biotopverbundsystems zur ökologischen Revitalisierung der Region müssen endlich zusammen gedacht werden. Dabei müssen Bürgerenergieprojekte priorisiert und finanziell unterstützt werden.“

Der Klimawandel und der ungebremste Flächenverlust und damit zusammenhängend die Zerstörung von natürlichen, auch landschaftsprägenden Lebensräumen erfordern nach Auffassung der zivilgesellschaftlichen Akteure auch dringend Anpassungen in der Landwirtschaft im Rheinischen Revier.

Bernd Schmitz, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) NRW: „Der Schutz, der besonders klimaresilienten Böden im Rheinischen Revier ist die wichtigste Maßnahme, um die regionale Ernährungssouveränität für die Region mit den direkt angrenzenden Ballungsräumen sicher zu stellen. In der Weiterentwicklung des Wirtschaftsraumes RR wird dagegen die großflächige Versiegelung mit Geldern aus dem Kohleausstiegsgesetz geplant. Für Gebietsplaner ist wertvoller Ackerboden nur Freifläche, für die Menschen der Region aber in unserer krisengeschüttelten Zeit die Grundlage für regionale Lebensmittelproduktion. Alle bisher versiegelten Flächen, wie die nun verbleibender Dörfer am Tagebau Garzweiler sowie brachliegende, ehemalige Gewerbegebiete müssen zuerst in die weitere Bebauungsplanung einfließen. Da auch die bestehende Industrie die Äcker als Rohstoffquelle nutzen will, darf kein Stück Acker mehr zerstört werden.“ Eine angestrebte Ernährungswende brauche jeden Quadratmeter Lößboden für Gemüse und Getreide. Das NRW-Ziel mit 20 Prozent Ökolandbau müsse dabei besonders in dieser fruchtbaren Region mitgedacht werden, denn der Anteil im Kreis Heinsberg beträgt bisher weniger als 2 Prozent.

Jetzt sei die Zeit, Fehlentwicklungen zu korrigieren und eine Modellregion im Rheinischen Revier zu schaffen, so das Bündnis. Die Synthese von Ökonomie, Sozialem und Ökologie müsse konsequent entwickelt und in allen Handlungsfeldern umsetzt werden. Dazu müsste auch die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) besser aufgestellt werden. Es gelte, transparente Zugänge zu den Vorgängen der Strukturwandelförderung zu schaffen und die Möglichkeiten der Realisierung von Projekten der Zivilgesellschaft finanziell und organisatorisch zu unterstützen.

Die 10-Punkte:

  1. Ökonomische Entwicklung und Arbeitsplätze müssen dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgen
  2. Die Raumentwicklung muss Klima- und Ressourcenschonung priorisieren
  3. Klimaneutralität als Leitlinie des Strukturwandels umsetzen
  4. Biodiversitäts- und Ökosystemschutz als Kernanliegen der Raumentwicklung hervorheben
  5. Klimaschutz und Klimaanpassung insbesondere bei Siedlungs- und Verkehrsentwicklung als integrativen Teil der Entwicklung und der Förderung vorsehen
  6. Landwirtschaft erfordert Schutz der wertvollen Böden
  7. Klimaangepasste Mobilität und Verkehrsinfrastruktur priorisieren
  8. Governance und Beteiligung im Strukturwandel reformieren
  9. Kulturwandel und Bildung für nachhaltige Entwicklung als integrativen Teil des Strukturwandels verstehen
  10. Internationale Bau- und Technologieausstellung (IBTA) als Vorbild der Verbindung von Ökonomie und Ökologie

Das vollständige Papier als Download


Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des BUND:

"Die Auseinandersetzung um Lützerath zeigt, wie schwer Nordrhein-Westfalen der notwendige Ausstieg aus der Braunkohlengewinnung fällt. Die von Hendrik Wüst und Mona Neubaur geführte Landesregierung hat dabei die Chance verpasst, unser Land auf einen mit dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens kompatiblen Pfad zu bringen, sie hat Massenproteste gegen die Erweiterung des Tagebaus ausgelöst und sie verhindert die dringend notwendige Befriedung der Region.

Zugleich wird mit der Lützerath-Entscheidung der längst überfällige zukunftsfähige Umbau des Rheinischen Reviers erschwert. Deutlichstes Symbol dafür sind wohl die 8 Windenergieanlagen, die bis 2025 für den Tagebau Garzweiler gesprengt werden sollen.

„Raus aus der Braunkohle, rein in die Zukunft“ – diese Devise müsste jetzt endlich mit Priorität umgesetzt werden. Doch der Status quo ist ernüchternd. Anstatt alle Kräfte dafür zu bündeln, das Rheinische Revier zu einer Modellregion in Sachen Klimaschutz und Klimawandelanpassung zu machen, regiert auch hier noch das Prinzip des „Weiter-so-wie-bisher“.

Der Braunkohle wird mit der Lützerath-Entscheidung ein goldenes Ende beschert. Gleichzeitig soll – wie im RWE-Deal vereinbart – eine neue fossile Gasinfrastruktur aufgebaut werden.  Wie so die Klimaschutzziele erreicht werden sollen, bleibt offen.

Dabei sind die Potenziale der erneuerbaren Energien im Revier groß. Allein an Dachflächen-Photovoltaik wird dieses auf mehr als 10 GW geschätzt. Der unverbindliche Gigawatt-Pakt zum Ausbau erneuerbarer Energien mit seiner Zielgröße von lediglich 5 Gigawatt muss deshalb deutlich ambitionierter ausgestaltet werden. Auch müssen jetzt zügig die planerischen Vorgaben zur Ausweisung von Vorrangflächen für die Windenergienutzung umgesetzt werden – auch um möglichen Konflikten mit anderen Ansprüchen an den Raum vorzubeugen.

Wir erwarten auch, dass das Revier mehr in Sachen grüner Wasserstoff und der Installation von Elektrolyseuren tut. Gerade in der dezentralen Erzeugung grünen Wasserstoffs mit kleinen Elektrolyseuren liegen große Chancen für eine klimaneutrale Zukunft der Kommunen.

Bei all dem muss die Devise lauten: Nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern mehr. Wenn jetzt über Sonderplanungszonen bewährte Standards geschleift werden sollen, fördert dies nicht die Akzeptanz.

Nicht nur, dass die Bevölkerung an den Planungs- und Genehmigungsverfahren frühzeitig und umfassend beteiligt werden muss, auch die unmittelbare Teilhabe muss verbessert werden. Insofern brauchen wir dringend das angekündigte Bürgerenergiegesetz. Damit muss auch die finanzielle Beteiligung der Bürger*innen an RWE-Projekten auf Bergbauflächen wie z.B. in den Tagebaurestlöchern geregelt werden.

Über den geplanten Bürgerenergiefonds hinaus sollten aus Strukturwandelmitteln beispielhafte Projekte auch zum Energy Sharing verstärkt gefördert werden. Die EU hat dafür den Rahmen geschaffen, doch in Deutschland und NRW hakt die Umsetzung. Beim Energy Sharing wird grüne Energie gemeinschaftlich erzeugt, genutzt, verkauft und gehandelt – die Bürgerschaft profitiert also gleich mehrfach.

Aber genauso wichtig bleibt es auch, Klimaschutz durch erneuerbare Energien und Klimawandelanpassung durch die Schaffung eines Biotopverbundsystems zur ökologischen Revitalisierung der Region endlich zusammen zu denken. Trotz entsprechender Festlegungen in der 2021er-Leitentscheidung und auch im Koalitionsvertrag hat die Landesregierung bislang wenig unternommen, ein konsistentes Netz grün-blauer Infrastruktur im Revier zu etablieren.

Die anerkannten Naturschutzvereine haben sich deshalb auf den Weg gemacht, ein „Grundlagenkonzept Biotopverbund Rheinisches Revier“ zu erarbeiten. Dieses gilt es auch regionalplanerisch zu sichern. Diesbezüglich ist der neue Regionalplan aber äußerst mangelhaft – hier werden v.a. großzügig neue Gewerbegebiete auf der grünen Wiese geplant, der Biotopverbund wird als Nice-to-have sehr stiefmütterlich behandelt.

Jetzt ist die Zeit, solche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Synthese von Ökonomie, Sozialem und Ökologie muss konsequent entwickelt und in allen Handlungsfeldern umsetzt werden.

Das heißt auch, dass die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) besser aufgestellt werden muss. Die Zugänge gerade auch für Projekte aus der Zivilgesellschaft sind intransparent und kompliziert. Gleichzeitig sehen wir eine grobe Unwucht bei den geförderten Projekten: Projekte der Zivilgesellschaft und solche, die sich um weiche Standortfaktoren wie ein intaktes Lebensumfeld und Naturschutz kümmern, fallen durch das Raster. Das darf nicht sein. Von den 15 Milliarden Euro muss deshalb ein angemessener Anteil für Projekte der Zivilgesellschaft und den Biotopverbund reserviert werden."

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