BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Ein Jahr Schwarz-Grün in NRW: „Koalition muss endlich liefern“

22. Mai 2023 | Braunkohle, Klima & Energie, Flüsse & Gewässer, Landwirtschaft, Naturschutz, Wälder

Natur- und Umweltschutzverbände fordern mehr Einsatz für Umwelt und Klima

Ziehen ernüchtert Zwischenbilanz nach einem Jahr schwarz-grüner Regierung: Mark vom Hofe (LNU), Heide Naderer (NABU) und Holger Sticht (BUND). Es moderiert Tobias Blasius von der LPK (v.l.n.r.) [Foto: Dirk Jansen]

  • Bekämpfung der Biodiversitätskrise kaum erkennbar
  • Braunkohle als schwere Hypothek für den Klimaschutz
  • Klimawandelanpassung und Gewässerschutz keinen Schritt vorangekommen

Ein Jahr nachdem die erste schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen die Arbeit begonnen hat, ziehen die Landesverbände des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) und des Naturschutzbund Deutschland (NABU) eine erste Zwischenbilanz. Das Fazit der drei großen Natur- und Umweltschutzverbände fällt verhalten aus. Trotz wohlklingender Absichtserklärungen im „Zukunftsvertrag“ von CDU und Grünen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen bleibe die angekündigte sozial-ökologische Erneuerung des Landes bislang weitgehend aus.

BUND-Landesvorsitzender Holger Sticht: „Nach den fünf Jahren Stillstand und Rückschritt unter Schwarz-Gelb sind Impulse für eine nachhaltige Entwicklung des Landes mehr als überfällig. Bislang sind diese leider zu wenig feststellbar. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien geht es deutlich voran, und auch in der Verkehrspolitik wurde die eine oder andere verbale Duftmarke gesetzt. Aber mit der Einigung zur Erweiterung des Tagebaus Garzweiler zur Braunkohlegewinnung wird das Land mit einer schweren Klimaschutzhypothek belastet. Enttäuschend ist, dass es noch immer an Maßnahmen zur Bekämpfung des dramatischen Artenschwundes fehlt. BUND, LNU und NABU hatten mit ihrer Volksinitiative Artenvielfalt NRW hierzu konkrete Vorschläge vorgelegt. Wir erwarten, das Schwarz-Grün jetzt endlich liefert. Insbesondere der große Koalitionspartner CDU scheint aber auf dem ökologischen Auge blind zu sein.“

Zwar erkennen die Verbände durchaus die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbundenen Handlungszwänge an, trotzdem vermissen sie eine zielgerichtete, ökologische Agenda der Landesregierung. Die Landesentwicklungsplanung muss klare Vorgaben zur Eindämmung des Freiraumverlustes durch Siedlungsflächen, Industriegebiete und Rohstoffgrabungen aufzeigen, so die Forderung der Verbände. Insbesondere bei der Transformation des Rheinischen Reviers müsse ein vorgesehener Biotopverbund deutlich mehr berücksichtigt werden. 14,8 Milliarden Euro Förderung seien für die Region vorgesehen, davon muss dringend ein Teil in den notwendigen Erhalt und die Stärkung bestehender sowie die Schaffung neuer Biotopstrukturen fließen.

Dr. Heide Naderer, Landesvorsitzende des NABU NRW: „Nachhaltigkeit ist zwar ein häufiges Wort im Koalitionsvertrag, jedoch als handlungsorientierte Leitlinie der Landesregierung bisher kaum erkennbar. Dies gilt ebenso für notwendige Maßnahmen zum Erreichen internationaler wie nationaler Klima- und Biodiversitätsschutzziele. Hier besteht akuter Handlungsdruck. Doch die Landesregierung konterkariert die eigenen angestrebten Ziele, sei es durch die Zustimmung zu bundesweiten Plänen wie dem Autobahnausbau oder durch mangelhafte landesplanerische Vorgaben, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Damit dürfte ein fristgerechtes und notwendiges Erreichen der EU-Biodiversitätsziele bis 2030, 30 Prozent der Landesfläche effektiv unter Naturschutz zu stellen, nur schwer umsetzbar sein.“

Als nicht zielführend für die notwendige Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Biodiversitätskrise kritisierten die Naturschutzverbände zudem den neuen Ressortzuschnitt mit der Herausnahme der Landwirtschafts- und Waldpolitik aus dem Umweltministerium. Auch vermissen BUND, LNU und NABU eine überzeugende Klimaanpassungsstrategie des Landes. Angesichts gehäuft auftretender Dürren und der Gefahr verheerender Hochwässer muss das Land nach Ansicht der Naturschutzverbände jetzt endlich „ohne Wenn und Aber“ mit ökologisch basierten Lösungen umsteuern.

Mark vom Hofe, Landesvorsitzender der LNU: „Zur Klimawandelanpassung ist eine intakte blau-grüne Infrastruktur eine Lebensversicherung. Deshalb muss das Land jetzt schnell 30 Prozent der Landesfläche für den Biotopverbund sichern. Auch darf der Gewässerschutz nicht länger ein Stiefkind der Politik bleiben. Weniger als zehn Prozent unserer Gewässer sind in einem guten ökologischen Zustand, doch die angekündigte ‚Zukunftsstrategie Wasser‘ ist nicht erkennbar. Dabei ist ein intakter Landschaftswasserhaushalt unerlässlich, um gegen Dürre und Hochwässer besser gewappnet zu sein.“

BUND, LNU und NABU fordern die schwarz-grüne Koalition auf, die ökologische Erneuerung als Gemeinschaftsaufgabe zu betrachten und sie mit aller gebotenen Konsequenz anzugehen. Jetzt notwendige politischen Entscheidungen und die damit verknüpfte Finanzierung seien der Schlüssel, um die Klima- und Biodiversitätsschutzziele mit Leben zu füllen. Sämtliche Planungen, Programme und Maßnahmen des Landes seien dazu ressortübergreifend einem Nachhaltigkeits-, Klima- und Biodiversitätscheck zu unterziehen.

 

Hintergrund: Die nordrhein-westfälischen Natur- und Umweltschutzverbände haben ausgewählte Felder der Regierungsarbeit einem Kurzcheck unterzogen.

Natur- und Gewässerschutz: Durch die Teilung des bisherigen Umweltministeriums in ein nun CDU-geführtes Landwirtschaftsministerium und ein Grün-geführtes Umweltministerium waren beide Ministerien monatelang mit der Eigenorganisation beschäftigt. Die nun geforderte ressortübergreifende Zusammenarbeit verlangsamt Prozesse. Es bleibt abzuwarten, ob die Zusammenarbeit in Zukunft sogar dringend notwendige Reformen aufhalten wird.

Bisher gibt es keine neuen Impulse, die massive Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen: kein Fahrplan für die wirksame Umsetzung der Biodiversitätsstrategie, die beschleunigte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie oder für das bei der UN-Biodiversitätskonferenz beschlossene Ziel zur Ausweisung von Schutzgebieten auf 30 Prozent der Landesfläche. Der Handlungsdruck sollte dabei groß genug sein, handelt es sich hierbei doch um Pflichtaufgaben auch für NRW. Und auch die Lehren aus der Hochwasserkatastrophe und den letzten Dürrejahren, die die Notwendigkeit eines intakten Landschaftswasserhaushalts deutlich gemacht haben, sollten Grund genug für zügiges Handeln sein. Das im Koalitionsvertrag versprochene „wirksame Bekämpfen“ und „in allen Politikfeldern Mitdenken“ ist bislang nicht ersichtlich.

2023 wurde die lange geforderte Erhöhung der Haushaltsmittel im Naturschutz von der Landesregierung bereitgestellt, die unter anderem den Biologischen Stationen zu Gute kommt. Bisher ist das der einzige Lichtblick für den Naturschutz. Für 2024 und die Folgejahre sind jedoch kontinuierlich weitere Mittelaufstockungen im Naturschutz zwingend notwendig, um den bereits bestehenden, massiven Herausforderungen beim Schutz der Artenvielfalt entgegenzusteuern.

Landwirtschaft: „Die besondere Verantwortung der Landwirtschaft für Umwelt, Landschaft und Artenvielfalt“ – immerhin die Hälfte der Landesfläche ist landwirtschaftlich genutzt – wurde im Koalitionsvertrag noch betont. Bislang aufgelegte Förderungen, wie die Öko-Modellregionen, wurden verstetigt und ein Kantinenprogramm verspricht modellhafte Maßnahmen aufzuzeigen – jedoch fehlt die übergreifende Leitlinie, wie Landwirtinnen und Landwirte in Zukunft klimaangepasst und naturverträglich wirtschaften können. Immerhin hat das Landwirtschaftsministerium mit der Erarbeitung der seit Jahren überfälligen Pestizidreduktionsstrategie für NRW begonnen, die auch Bestandteil des Koalitionsvertrages ist.

Wald und Forst: Der Forst in Nordrhein-Westfalen wurde durch die Extremwetterereignisse der vergangenen Jahre sowie durch eine in weiten Teilen verfehlte Forstpolitik mit Fokus auf nicht-standortgerechte Fichtenforste der letzten Jahrzehnte stark geschwächt. Die Waldflächen müssen dringender denn je durch die Sicherung stabiler Waldökosysteme auf die weiteren Umweltveränderungen vorbereitet und geschützt werden. Der Wald als Ort der Biodiversität und des Artenschutzes muss bewahrt und entsprechend durch Maßnahmen der Landesregierung prioritär gegenüber primär wirtschaftlichen Nutzungsinteressen gestärkt werden. Die Landesregierung muss endlich das ökologisch wie ökonomisch unverträgliche Waldbaukonzept NRW im Archiv verschwinden lassen und die Förderkulisse des Landes an der natürlichen Waldentwicklung ausrichten.

Ressourcenschutz: Durch die Verlagerung wesentlicher landesplanerischer Änderungen in eine spätere Novellierung des Landesentwicklungsplans geht wertvolle Zeit verloren. Diese wird bei den laufenden Regionalplanänderungen zum Nachteil der Umwelt ausgenutzt: die ausufernde Planung von Siedlungs- und Gewerbeflächen auf der „grünen Wiese“ konterkariert alle Bekenntnisse zum Freiraumschutz. Auch die beabsichtigte rechtskonforme Ausgestaltung der Versorgungszeiträume bei Kies und Sand droht zu verpuffen, da der Regionalverband Ruhr jetzt Fakten schaffen und zusätzliche Abgrabungsflächen sichern will. Die Landesregierung ist offenbar nicht willens, das zu unterbinden. Der im Koalitionsvertrag festgelegte verbindliche Degressionspfad und perspektivische Ausstieg aus der Kies- und Kiessandgewinnung in den besonders betroffenen Regionen wird dadurch ausgehöhlt. Bleibt zu hoffen, dass wie vereinbart zum 1. Januar 2024 die Rohstoffabgabe für Kies und Sand eingeführt und damit eine ökologische Lenkungswirkung erzielt wird.

Energie und Klima: Wenngleich fünf weitere Garzweiler-Dörfer vor den Baggern gerettet wurden, wird der Beginn der Legislaturperiode für immer mit der Zerstörung Lützeraths für den Braunkohlenabbau verbunden bleiben. Mit der Erteilung einer bergrechtlichen Zulassung für die Erweiterung des Tagebaus Garzweiler wurde der Weg freigemacht, dass die RWE Power AG noch bis zu 280 Millionen Tonnen Braunkohle allein aus dem Tagebau Garzweiler fördern kann. Der auf das Jahr 2030 vorgezogene Kohleausstieg wird zudem dadurch entwertet, dass bis dahin deutlich mehr CO2 ausgestoßen werden soll, als ursprünglich geplant. So wird die Braunkohlepolitik zu einer schweren Klimaschutz-Hypothek. Diese könnte noch durch eine neue Braunkohle-Leitentscheidung gemindert werden, die im Einklang mit der 1,5 Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens steht. Das ist aber offensichtlich nicht geplant. Dieser Kardinalfehler wird auch nicht durch den deutlichen Politikwechsel im Bereich der erneuerbaren Energien kompensiert werden können. Mit den beschlossenen Eckpunkten zur Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP) und dem LEP-Erlass Erneuerbare Energien wurde die Ausbaubremse bei der Wind- und Solarenergie gelockert. Jetzt wird es darauf ankommen, dass bei der planerischen Sicherung der Windenergiebereiche die Natur- und Artenschutzstandards gewahrt bleiben. Die geplante Änderung der Landesbauordnung mit der Verankerung der solaren Baupflicht wird der Photovoltaik einen neuen Schub verleihen.

Mobilität: Die Landesregierung war maßgeblich an der Durchsetzung des Deutschlandtickets beteiligt - ein wichtiger Schritt hin zur Mobilitätswende. Die Anforderungen an den ÖPNV, gerade im ländlichen Raum, werden nun steigen. Hier wird die Landesregierung sich an ihrem Ziel, 60 Prozent mehr ÖPNV-Angebot bis 2040, messen lassen müssen. Neben der Stärkung des Angebotes insbesondere im ländlichen Raum, müssen die Themen der Barrierefreiheit und der sozialverträglichen Kostenverteilung noch stärker in den Fokus genommen werden. Die Priorität im Bereich Straße liegt landespolitisch auf dem Erhalt der Landesstraßen - dies ist gut. Es war jedoch klima- und umweltpolitisch unverantwortlich, den Plänen zu einem beschleunigten Ausbau bei Bundesfernstraßen zuzustimmen. Prämisse muss es werden, den vordringlichen Sanierungsbedarf der maroden Infrastruktur zu priorisieren und eine entsprechende Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans mit einem Moratorium für den Aus- und Neubau von Bundesstraßen zu erwirken – hierfür muss sich die Landesregierung stark machen und auch den Vorsitz der Verkehrsministerkonferenz nutzen. NRW kann zeigen, dass es Mobilitätswende kann, hierzu bedarf es klarer Prioritäten in der Finanzierung und die richtigen Entscheidungen für den Umweltverbund.

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