BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Der Teufelskreis der Jagd

Die Jagd hat in den vergangenen Jahrzehnten zu wachsenden Konflikten mit Zielen und Anforderungen des Naturschutzes, des Tierschutzes, mit ethischen Aspekten, Naherholung sowie land- und forstwirtschaftlicher Nutzung geführt. Auch nach der viel beachteten Jagdgesetznovelle in NRW im Mai 2015 zieht leider gerade der Natur- und Tierschutz meist noch den Kürzeren.

Mit dem Hinweis, Wolf und Luchs seien ja ausgerottet und damit funktional zu ersetzen, gehen viele Jäger ihrer Leidenschaft nach. Das geht soweit, dass die Jagd sogar im einzigen Nationalpark und in den so genannten Wildnisgebieten des Landes fast flächendeckend praktiziert wird. Jagd also als Wildtiermanagement im Zeichen des Naturschutzes?

Dabei wird leider unterschlagen, dass Hirsch- und Schweinbestände nicht durch Beutegreifer reguliert werden, sondern v.a. durch Nahrungsverfügbarkeit und Lebensraumrequisiten. Genau diese begrenzenden Ökofaktoren, die in Menschen geschaffenen und naturnahen Lebensräumen gleichermaßen wirken, hebeln Jäger durch Hege gern aus: durch Fütterungen, Wildäcker und Co. können nämlich die Erfolgserlebnisse gesteigert werden.

Der durch Jagd erzwungene Stress bewirkt aber auch einen erhöhten Stoffwechsel, der durch eine erhöhte Nahrungsaufnahme ausgeglichen werden muss: je mehr Jagd und je länger die Jagdzeiten, desto mehr Verbiss. Zudem ist bspw. beim Wildschwein wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Fruchtbarkeit durch Jagd erhöht wird – eine natürliche, hormonell bedingte Reaktion auf Ausfälle und eine Folge der verbesserten Nahrungsgrundlage für die, die überlebt haben.

Hinzu kommt, dass in NRW die Zahl der Jagdausübenden die potenziell mögliche Zahl von Wolf und Luchs um ein Vielfaches übertrifft und Jäger eine andere Beute wählen als Beutegreifer: beim Wolf sind es kranke oder junge Tiere, die den geringsten Aufwand erzeugen. Der Jäger wählt zwischen dem, was in Reichweite seiner Waffe steht – am liebsten das „Stück“, das den besten Ertrag oder die schönste Trophäe bietet.

Jagd eröffnet somit einen Teufelskreis aus künstlichen Eingriffen in Tierbestände, künstlich induzierten Vermehrungsraten und daraus folgenden Verbissleistungen, der Konflikte etabliert. So haben sich die Paarhuferstrecken (Liste der durch Jäger getöteten Hirsche, Rehe und Schweine) in Deutschland, bei nahezu flächendeckender Jagd, seit den 1950ern in etwa vervierfacht, ohne dass dies insgesamt zu einer Verbesserung der Verbisssituation geführt hätte.

Der Ausweg sind möglichst große Gebiete ohne Jagd. Daher sind eigentlich selbstverständliche Kernforderungen des BUND NRW, den Jagdzwang für alle Grundeigentümer – auch für Verbände und Stiftungen - endlich abzuschaffen und ein Jagdverbot für Naturschutzgebiete einzuführen. Forderungen, die im so genannten „ökologischen Jagdgesetz“ Nordrhein-Westfalens nahezu keinen Niederschlag fanden. Es bleibt daher auch zukünftig noch Viel zu verbessern.

Wald vor Wild?

Keine Jagd auf BUND-Grundstücken! [Foto: D. Jansen] Keine Jagd auf BUND-Grundstücken! [Foto: D. Jansen]

Der in den 1970er Jahren durch den bayerischen BUND geprägte Leitsatz „Wald vor Wild“ problematisiert nicht Paarhufer an sich, sondern das Phänomen, dass Jäger diese wilden Tierarten gebietsweise als Schalenwild (= jagdbare Paarhuferart) wie in einem Freiland-Zoo hegen. Eine solche Hege konterkariert dann sowohl waldwirtschaftliche Ziele als auch naturnahe Zustände.

Konflikte mit Paarhufereinflüssen sind ansonsten in NRW v.a. waldbaulich verursacht und damit hausgemacht. In Altersklassenforsten und Wirtschaftswäldern fehlen meist Strukturen, die Naturverjüngung in naturnahen Waldökosystemen Konkurrenzvorteile verschafft: Verlichtungsstadien, auf denen sich bspw. Brombeere oder Weißdorn entwickeln können, die eine Verbissgegenstrategie und damit „Jugendschutz“ für Bäume bieten oder auch der natürliche Verbissschutz durch umgestürzte Bäume. Erst aufgrund dieses Mangels kommen im Falle langer Wald-Feld-Grenzen die günstigen Nahrungsverfügbarkeiten, die landwirtschaftliche Nutzflächen bieten können, und damit evtl. höhere Populationsdichten von Paarhufern mit entsprechenden Einflüssen auf angrenzende Waldflächen zum Tragen.

Eine weitere Konfliktursache ist der seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich gestiegene Anteil von Maisanbauflächen. Mais verbessert nicht nur die Nahrungsgrundlage, sondern bietet auch zusätzliche Deckung. Hier ist eine Umstellung auf alternative Pflanzenarten erforderlich, auch weil der Maisanbau eine der Hauptursachen für den Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft darstellt. Im Falle des Wildschweins haben sich mobile E-Zäune rund um Maisäcker als effektive Methode erwiesen, um gegenseitige Wechselwirkungen zwischen Wald und Feld zu vermeiden.

Es bleibt also festzuhalten: es gibt einen Interessenkonflikt zwischen den verschiedenen Nutzungsformen Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Jagd, nicht aber zwischen naturnahen Waldökosystemen und Pflanzenfressern. „Wild“ ist Teil des Waldes, und eine ökologische Waldwirtschaft arbeitet mit dem Reh ebenso wie mit Rötelmaus oder Maikäfer.

Das Verhältnis der Deutschen zu Huftieren ist eher ambivalent: die Jungtiere werden mittels Drohnenaufklärung vor dem Tod durch Mähfahrzeuge gerettet, die ausgewachsenen Tiere zu hunderttausenden als „Waldschädlinge“ abgeschossen.
Unter dem Eindruck der Dürresommer seit 2018, dem damit verbundenen Zusammenbruch von Forsten und dem Wunsch nach Walderneuerung gerieten Rothirsch und Reh verstärkt ins Fadenkreuz. Von einer Gefährdung des Waldes und damit des Klimaschutzes war die Rede, davon, dass angesichts „überhöhter Wildbestände“ junge Bäume auf der Strecke blieben und Jäger mehr jagen müssten. Doch ist dem wirklich so?
Mit dem Hintergrund beleuchten wir die Sachlage auf naturwissenschaftlicher Basis.

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