BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Dichtheitsprüfung von privaten Kanälen in Nordrhein-Westfalen

Die Dichtheitsprüfung von privaten Kanälen ist eine „unendliche Geschichte“ des Versagens von Politik und Verwaltung. Dabei gehen von undichten Kanälen erhebliche Gefahren für unser Grundwasser aus.

Für das Grundwasser sind undichte Kanäle - egal ob öffentlich oder privat - von Bedeutung, wenn

  • der Grundwasser-Spiegel unterhalb des Schmutzwasser-Kanals liegt, Schmutzwasser ins Grundwasser übertreten kann und zu Verunreinigungen führt,
  • wenn der Grundwasser-Spiegel oberhalb des Kanals liegt und Grundwasser wie bei einer Drainage in den Schmutzwasserkanal eintreten kann und auf der Kläranlage als Fremdwasser aufwendig mitgereinigt werden muss.

Etwa 40 Prozent der Wohngebäude in NRW sind älter als 50 Jahre, nach anderen Angaben sind 63 Prozent aller Wohnungen vor 1979 gebaut. Die entsprechenden Hausanschlüsse sind noch nie auf Dichtigkeit kontrolliert worden. So gibt es z.B. in der Stadt Bielefeld allein über 63.000 Wohnhäuser, die an die Kanalisation angeschlossen sind. Nach Angaben von Kommunen und Fachverbänden wie die Deutsche Vereinigung für Wasser, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) ergaben Dichtheitsprüfungen privater Kanäle eine Schadenquote von 60 bis 75 %, über ein Drittel davon mit kurzfristigem Sanierungsbedarf. Neben 100.000 km öffentlichen gibt es in NRW auch 200.000 km private Kanäle.

Auswirkungen auf das Grundwasser

Das Thema wurde von Behörden und Politik in NRW maßgeblich aufgrund des Fachberichtes 43 „Grundwassergefährdung durch undichte Kanäle“ 2012 das LANUV NRW aufgegriffen. Darin wurde aufgrund von Berichten verschiedener Städte in Deutschland und Österreich auf das Gefährdungspotenzial undichter Schmutzwasserkanäle hingewiesen. Grundlage waren Daten u.a. aus den Städten Karlsruhe und Rastatt (Untersuchungen der Universität Karlsruhe) sowie Darmstadt, Halle, Leipzig und Linz, die eindeutig Verunreinigungen des Grundwassers aus undichten Kanälen mit Indikatorstoffen wie Bor, Kalium, Natrium, Chlorid und Ammonium sowie z.T. stark erhöhte Grundwasser-Temperaturen durch undichte Kanäle aufzeigt haben.

Daneben sind auch anthropogene Spurenstoffe aus Humanmedikamenten ( z.B. Carbamazepin, Clofibrinsäure, Metoprolol, Solatol), Röntgenkontrastmittel (z.B. Amidotrizoesäure), Rückstände aus Körperpflegeprodukten (synthetische Moschusverbindungen Tonalid, Galaxolid), Rückstände von Industriechemikalien mit endokriner Wirkung (Bisphenol A, Nonylphenol), Komplexbildner (EDTA, NTA), Süßstoffe sowie Stoffe wie Koffein, D-Limonen (Zitrus-Duftstoff) und deren Abbauprodukte (Metabolite) festgestellt worden. Hinzu kommen bakteriologische Verunreinigungen. Das Grundwasser ist „Bioreaktor“ für das Abwasser aus undichten Kanälen.

Entwicklung der rechtlichen Grundlagen

Nicht nur ausgewiesene Wasserschutzgebiete werden durch undichte Kanäle beeinträchtigt. [Foto: Dirk Jansen] Nicht nur ausgewiesene Wasserschutzgebiete werden durch undichte Kanäle beeinträchtigt. [Foto: Dirk Jansen]

Die Entwicklung der rechtlichen Grundlagen ist eine klassische Geschichte vom Versagen im Bereich Grundwasserschutz. Schon in der Landesbauordnung NRW 1995 (!) wird zur Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik eine flächendeckende und wiederkehrende Dichtheitsprüfung gefordert. Diese ist von der Bauverwaltung landesweit nie umgesetzt worden.

Mit dem Landeswassergesetz (LWG) von 2007 wurden die Regelungen ins Wasserrecht übernommen. Im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) gibt es diese bereits seit 1986. Die technischen Rahmenbedingungen sind in der einschlägigen DIN 1986-30 von 2012 enthalten. Die Politik hat dann -auch auf Drängen des BUND - endlich die Initiative ergriffen und 2013 eine Änderung des LWG und die sog. Selbstüberwachungsverordnung Abwasser (SüwVO Abw) beschlossen. LWG und SüwVO Abw schreiben eine verbindliche Dichtheitsprüfung mit Fristsetzung Ende 2015 innerhalb von ausgewiesenen Wasserschutzgebieten (WSG) vor u.a. bei mehr als 50 Jahre alten privaten Kanälen.

Viele Brunnen/Wasserwerke der öffentlichen Wasserversorgung haben aber bisher kein ausgewiesenes WSG. Jüngere private Kanäle und bestimmte Anlagen außerhalb von WSG müssen bis Ende 2020 einer Dichtheitsprüfung unterzogen werden. Die ehemals stringentere Anforderung an eine Dichtheitsprüfung im LWG 2007 wurde 2013 unter der Landesregierung von SPD/Grüne mit der o.g. SüwVO Abw gekippt aufgrund der erheblichen Proteste gerade aus Kreisen von FDP und SPD sowie der Grundstück-/Hauseigentümer. Danach ist z.B. noch nicht einmal die Vorlage der Bescheinigung über die erfolgte Dichtheitsprüfung bei der Kommune/dem Abwasserbetrieb erforderlich. Obwohl es den Kommunen rechtlich möglich ist, dies in ihrer Entwässerungssatzung zu regeln, hat laut einer Abfrage des BUND-Landesarbeitskreises Wasser bei den Kommunen in NRW bisher kaum eine Kommune davon Gebrauch gemacht. Ausnahmen waren/sind z.B. die Städte Köln, Lünen, Coesfeld, Schwalmtal und Herne, nachdem diese ein Angebot zur Durchführung der Dichtheitsprüfung in Regie der Stadt gemacht haben.

Bereits 2020 gab es die 1. Änderung der SüwVO Abw. Die Anforderungen wurden weiter reduziert. Die Regelungen in der von Fachleuten erarbeiteten o.g. DIN wurden nur ansatzweise umgesetzt. So sind jetzt Dichtheitsprüfungen von privaten Kanälen nur „anlassbezogen und in begründeten Verdachtsfällen“ vorgeschrieben. Die Ergebnisse der o.g. Verunreinigungen im Grundwasser zeigen, dass es eine Beschränkung auf „begründete Verdachtsfälle“ fachlich nicht haltbar ist.

Mangelhafte Vollzugspraxis

Ab spätestens 2020 wurde außer in den o.g. Städten die SüwVO Abw von den Abwasserbetrieben und den Unteren Wasserbehörden in den Kommunen/Kreisen so gut wie nicht vollzogen. Die Verbraucherzentrale NRW sowie die Interessenvertretung der Grundstückseigentümer/Hausbesitzer bestärkten/en die Grundstückseigentümer*innen sogar darin, erst einmal gar nicht zu reagieren.

Besonderer Widerstand kam von Betroffenen, deren Immobilien mit einem relativ langen privaten Kanal an die öffentliche Kanalisation angeschlossen sind. Das Thema war seitens der Naturschutzverbände (NSV) nicht in der Politik und Verwaltung vermittelbar, da die betroffenen Grundstückseigentümer nicht bereit waren, die Organisation und die (geringen) Kosten einer Dichtheitsprüfung zu übernehmen. Alle Parteien hatten Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Der BUND versuchte mit Pressemitteilungen und Stellungnahmen zu den o.g. LWG- und Änderungen der SüwVO Abw mit Anhörungen im Landtag „gegenzuhalten“ – übrigens im Bündnis mit den Fachverbänden.

Überschaubare Kosten

Aufgrund der Erfahrungen aus bisher durchgeführten Dichtheitsprüfungen betragen die Kosten 350 bis 550 Euro (15 € bis 17 € pro laufenden Meter Kanal). Die Kosten für Sanierungen liegen zwischen 150 € und 600 € pro laufenden Meter Kanal. Da private Kanäle über viele Jahrzehnte nicht geprüft wurden und eine Dichtheitsprüfung auch dem Werterhalt einer Immobilie dient, ist eine flächendeckende Dichtheitsprüfung und Sanierung nicht unverhältnismäßig.

Klage soll Praxis beenden

Ein Mitglied des BUND Landesarbeitskreises Wasser in Bielefeld versuchte 2017 auf einem rechtlichen „Umweg“ durch eine Klage gegen das Ignorieren der rechtlichen Vorgaben und des „Fast-Nichtstuns von Politik und Verwaltung“ vorzugehen.

Fachlicher Hintergrund ist die Tatsache, dass durch undichte Kanäle im Grundwasser der Kläranlage mehr sog. Fremdwasser zugeführt wird, das aufgrund der erhöhten Menge an Schmutzwasser und der damit einhergehenden Verdünnung finanziell aufwendiger in der Kläranlage behandelt werden muss. Die nicht erforderlichen zusätzlichen Kosten wurden vom Kläranlagenbetrieb mit etwa 10 Cent pro m³ angegeben. Zunächst mit dem Mittel eines Widerspruchs gegen den Abwassergebührenbescheid – die Abwassergebühren könnten bei einer Reduktion des Fremdwassers geringer ausfallen - und dann mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Minden sollte die Stadt Bielefeld zum Handeln gezwungen werden. Nach vier Jahren kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Klage aus formalen Gründen, was die Zustellung des Abwasser-Gebührenbescheids angeht, Recht gegeben wurde.

Aber auf den eigentlichen Grund der Klage, die weitere Verunreinigung durch eine Dichtheitsprüfung und ggf. eine zu erfolgende Sanierung zu unterbinden, wurde vom Gericht nur am Rande eingegangen. Es wies darauf hin, dass die Kommune lt. Abwasserbeseitigungs-/Fremdwasserbeseitigungskonzept das Problem Fremdwasser mit hohen Investitionen in den öffentlichen Kanal angeht.

Der Gericht hat dabei leider nicht sauber bei den in den o.g. Konzepten dargelegten Maßnahmen des Abwasserbetriebes hinsichtlich öffentlicher und privater Kanäle unterschieden. Vermutlich wurde die seinerzeitige Klagebegründung nicht genau genug gelesen. Leider fand aufgrund der Corona-Pandemie kein Erörterungstermin beim Verwaltungsgericht statt. Ein Gang zum Oberverwaltungsgericht schied wegen des finanziellen Risikos aus. "Der Vorgang zeigt einmal mehr, dass die Richter*innen an den Verwaltungsgerichten häufig fachlich nicht in der Lage sind, die umweltrechtlichen Tatbestände zu beurteilen und entsprechend zu entscheiden. Ein Versagen auf der ganzen Linie unseres Rechtssystem von Legislative, Exekutive und Judicative", fasst BUND-Grundwasserexperte Manfred Dümmer seine Bewertung zusammen.

Fragen und Antworten

In der Vergangenheit sind von Betroffenen und den Eigentümerverbänden wie Haus & Grund folgende Haupt-Kritikpunkte hinsichtlich der Forderung nach Dichtheitsprüfungen sowie Sanierungen privater Kanäle (dies betrifft dann aber auch öffentliche) geäußert worden:

Gülle darf ohne Probleme auf den Acker“ gebracht werden. Warum soll man sich dann um undichte private Kanäle kümmern?

Antwort: Gülle wird zumindest über der belebten Bodenzone ausgebracht und gelangt nicht - wie bei undichten Kanälen - direkt aus dem Schmutzwasserkanal ins Grundwasser.

Wenn bei einer Undichtigkeit Schmutzwasser aus dem Kanal austritt, ist das Erdreich um diese Stelle nach einiger Zeit so verdichtet, dass es kein weiteres Schmutzwasser mehr aufnimmt.

Antwort: Die Ausführungen im o.g. Fachbericht des LANUV NRW hinsichtlich der Auswertung von Beobachtungen in verschiedenen Städten zeigen, dass eine Abdichtung nicht immer erfolgt und Verunreinigungen des Grundwassers durch undichte Kanäle nachweisbar sind.

Nach der Sanierung von Kanälen in einem Gebiet steigt der Grundwasserspiegel an und führt zu feuchten/nassen Kellern. Ggf. muss Grundwasser sogar abgepumpt werden.

Antwort: Diese Situation ist zwar für Hauseigentümer mehr als unangenehm, kann aber nicht bedeuten, dass Grundwasser weiterhin durch Schmutzwasser aus undichten Kanälen verunreinigt wird und/oder dass es weiterhin zu einem erhöhten Fremdwasseranfall auf der Kläranlage kommt und das Misch-Schmutzwasser zu erhöhten Reinigungskosten auf der Kläranlage führt.

Private Kanäle können entsprechend der jeweiligen Satzung unterschiedlich lang sein. Der öffentliche Kanal kann bis zur Grundstücksgrenze, z.T. sogar bis an das Gebäude gehen. Damit können die Kosten für Dichtheitsprüfung und Sanierung von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich ausfallen.

Antwort: Auch diese Situation kann nicht als Begründung zum Nichtstun dienen. Ggf. könnte versucht werden, eine Veränderung der Satzung zu mehr Bürgerfreundlichkeit zu erreichen.

Da Dichtheitsprüfungen – wenn überhaupt - zeitlich prioritär in ausgewiesenen Wasserschutzgebieten (WSG) erfolgen müssen, wird der Widerstand gegenüber eine Neuausweisung von WSG größer.

Antwort: Dies mag so sein. Ist aber kein Argument, Dichtheitsprüfungen nicht durchzuführen. Die Fachbehörden, die entsprechenden Wasserversorger und die Politik sollten so viel „Standing“ aufbringen und der Kritik mit Fachargumenten begegnen.

Gerade an den Grenzen von NRW zu den anderen Bundesländern ergibt sich Unwillen, da z.B. in Niedersachsen vergleichbare Regelungen wie in NRW fehlen.

Antwort: Dieses „Totschlagargument“ ist nicht stichhaltig. Die Landespolitik sollte die angrenzenden Bundesländer auffordern, aus Gründen des Grundwasserschutzes möglichst schnell eigene fachlich fundierte gesetzliche und untergesetzliche Regelungen treffen.

Was tun?

Damit Politik und Verwaltung zusammen mit den Abwasserbetrieben endlich flächendeckend in NRW agieren, können Kommunalpolitiker*innen und engagierte Bürger*innen im Sinne des Grundwasserschutzes tätig werden:

  • Anfrage beim kommunalen Abwasserbetrieb und der Unteren Wasserbehörde, in welchem Umfang Dichtheitsprüfungen entsprechend SüwVO Abw von privaten Kanälen durchgeführt wurden und zwar innerhalb und außerhalb von WSG sowie in Einzugsgebieten von Brunnen/Wasserwerken der öffentlichen Wasserversorgung ohne Ausweisung eines WSG. Liegen dazu die Bescheinigungen über die erfolgte Dichtheitsprüfung vor?
  • Wie sehen die Ergebnisse der Dichtheitsprüfungen aus? In welchem Umfang mussten Kanäle saniert werden? Liegen dazu die Bescheinigungen über die erfolgreiche Sanierung vor?
  • Inwieweit hat die Kommune in ihrer Satzung die aktuelle Regelung der SüwVO Abw übernommen oder darüberhinausgehende Regelungen getroffen?
  • Welche Aussagen im aktuellen Abwasserbeseitigungskonzept werden zu privaten Kanälen gemacht? Gibt es ein Fremdwasserbeseitigungskonzept und welche Aussagen gibt es dort zum Zustand privater Kanäle? Sind ggf. dort geforderte Maßnahmen umgesetzt oder werden umgesetzt?
  • Gab es im Bereich der Kommune Probleme mit ansteigenden Grundwasserspiegeln aufgrund der Sanierung/Abdichtung von undichten Schmutz- und/oder Regenwasserkanälen?
  • In welcher Weise unterstützt die Kommune/der Abwasserbetrieb durch Öffentlichkeitsarbeit z.B. über die sozialen Medien/Internet bei der Vorbereitung und Durchführung von Dichtheitsprüfungen und Sanierungen. Organisiert die Kommune/der Abwasserbetrieb z.B. das Angebot für gemeinsame straßen-/quartiersbezogene Dichtheitsprüfungen?

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