BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Gefahr durch multiresistente Keime

Jahr für Jahr sterben zwischen 7.500 und 15.000 Menschen an antibiotikaresistenten Keimen, rund eine halbe Million Patienten infizieren sich damit. Diese sind auch auf den massiven Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung zurückzuführen. Nicht nur, dass Hähnchenfleisch aus Supermärkten und Discountern häufig mit antibiotika-resistenten Keimen belastet ist. Der BUND konnte die gefährlichen Erreger jetzt auch in unseren Gewässern nachweisen.

BUND-Gewässerschutzexperte Paul Kröfges bei der Probenahme auf multiresistente Keime. [Foto: Uwe Weiser]

Nachdem die Panorama-Redaktion des NDR im Februar 2018 in einer fundierten Reportage die weite Verbreitung so genannter multiresistenter Erreger (mrE) in mehreren Gewässern Niedersachsens nachgewiesen hatte, stellte sich die Frage nach der Situation in Nordrhein-Westfalen. Da das hiesige Umweltministerium abwiegelte, auf ein länger laufendes Projekt ("Hyreka") und geplante Untersuchungen im nächsten Jahr verwies, handelte der BUND.

Parallel mit dem WDR, der Untersuchungen in der Ruhr vornahm, ließ der BUND  mittlerweile 13 Gewässerproben aus NRW auf diese Erreger, auch Keime bzw. Bakterien untersuchen.

Im Ergebnis erwiesen sich alle Proben in unterschiedlichem Ausmaß als belastet, wobei Proben aus der Nette und einem Badesee Colibakterien enthielten, die sich sogar gegen drei von vier  so genannten Reserveantibiotika als resistent erwiesen, was als Alarmsignal gesehen werden muss. (s.u.)

Es handelte sich dabei sowohl um rein landwirtschaftlich geprägte Gewässerstrecken ohne direkt erkennbaren Einfluss von Kläranlagen, aber auch um eine Reihe von Proben, die oberhalb und unterhalb der Zuläufe von Kläranlagen entnommen wurden.

Somit konnte der BUND nachweisen, dass ganz offensichtlich diese resistenten Erreger auch in Gewässern NRWs vorhanden und u.U. weit verbreitet sind.

Ursachen

Es ist seit Einführung der Antibiotika in den 1940er Jahren bekannt, dass deren Anwendung als  natürliche Reaktion, im Sinne von Selektion und Evolution, Resistenzen verursacht, sowohl bei den bekämpften Krankheitserregern als auch innerhalb der allgegenwärtigen natürlichen Bakterienkulturen. Mittlerweile ist erforscht, das erworbene Resistenzen von einer Bakterienkultur sogar auf völlig andere Bakterienarten übertragen werden können (horizontaler Gentransfer).
Schon der Entdecker des Penicillins, A. Flemming, warnte vor einer übertriebenen oder inkonsequenten Antibiotika Behandlung, da hierdurch langfristig deren Wirksamkeit verloren gehen könnte. Diese Mahnung wurde leider missachtet. Neben dem lebensrettenden Einsatz zur Bekämpfung zahlreicher bakteriell verursachter Krankheiten wurden und werden in großem Stil Antibiotika prophylaktisch oder falsch eingesetzt, z.B. bei der Behandlung von Infekten, die durch Viren verursacht werden.

Besonders problematisch ist der Einsatz großer Mengen von Antibiotika in der Tierhaltung.

Noch bis vor einigen Jahren wurde diese in der Intensiv-Tierhaltung in großem Stil zur vorbeugenden Behandlung ganzer Herden, aber auch als Wachstumsförderer eingesetzt, womit die Resistenzbildung massiv befördert wurde.

Mittlerweile konnten die Einsatzmengen zwar verringert werden, auf etwa 800 t im Jahr, im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit aber immer noch an der Spitze. Andere Länder, z.B. Frankreich und Dänemark verbrauchen auf das Tier bezogen, weniger als die Hälfte.

Etwas geringer ist der mengenmäßige Einsatz von Antibiotika beim Menschen, wobei hier keine validen Zahlen vorliegen.

Durch die Ausscheidungen von Mensch und Tier gelangen sowohl Antibiotikareste als auch multiresistente Erreger in die Umwelt. Als Gülle auf den Feldern verteilt und durch Regen abgeschwemmt, landen sie in den Gewässern, ebenso unbehandeltes Abwasser aus überlaufenden Mischwasserkanälen oder aus Kläranlagen, die diese Erreger nicht vollständig eliminieren können. 

Forderungen

Das Vorhandensein der MRE bedeutet zwar keine unmittelbare Gefahr für gesunde Menschen, da diese Erreger nicht unbedingt krankmachender sind als die (noch) nicht resistenten Varianten, aber es ist ein ernst zu nehmendes Warnsignal. Zum einen können immungeschwächte und/oder verletzte Personen an den Erregern erkranken und dann nur erschwert, wenn überhaupt behandelt werden. Hinzu kommt die Möglichkeit der Übertragung dieser Erreger in kritische Bereiche wie Krankenhäuser und Altersheime.    

Zum anderen zeigt sich hier eine problematische Entwicklung ab, die dazu führen kann, dass Antibiotika durch die fortschreitende Resistenzentwicklung ihre Wirkung verlieren könnten, mit verheerenden Folgen für die Infektionsbekämpfung. Da neue Wirkstoffe kaum noch entwickelt werden und immer mehr Pharmakonzerne die nicht genügend profitable Forschung hieran aufgeben, droht der Rückfall in das „prä-Antibiotika- Zeitalter“, mit hohem Todesrisiko bei einfachsten Infektionen. Dramatisch ist dabei auch die zunehmende Resistenz gegen sogenannte Reserveantibiotika, die als letzte Möglichkeit bei komplizierten Infektionsverläufen gebraucht werden.

Vor diesem Hintergrund muss der Einsatz von Antibiotika generell minimiert werden, v.a. aber der Einsatz in der Tierhaltung massiv hinterfragt werden, was besonders für die Reserveantibiotika gilt. Sicher müssen kranke Tier behandelt werden, aber unbedingt muss das derzeitige System der Tierhaltung geändert werden. Weniger Tier auf mehr Fläche, artgerechtere Haltungsbedingungen, weniger Transporte, bessere Hygienebedingungen, Verbesserung der Tiergesundheit sind hier die Stichworte, zu denen der BUND bundesweit seit Jahren klar Position bezieht.

Hinsichtlich der Abwasserbehandlung ist zu prüfen, an welchen „hotspots“ , z.B. Abläufen aus Kliniken und Schlachthöfen oder bestimmten Kläranlagen gehandelt werden muss und welche Verfahren sich hierzu eignen. Um dies beurteilen zu können, ist als Erstes eine Bestandsaufnahme der  Gewässer hinsichtlich der Resistenzbelastung erforderlich.

Vor diesem Hintergrund war das Abwarten des Landes bei der Untersuchung der Gewässer auf multiresistente Keime ein Fehler. Wir dürfen uns als BUND NRW anrechnen, diesen wichtigen Schritt zur Bekämpfung des Problems erheblich beschleunigt zu haben und wir bleiben weiter dran.

Auch im Kreis Viersen hat der BUND stichpunktartig Gewässerproben auf multiresistente Keime analysieren lassen. BUND-Experte Paul Kröfges gibt Antworten zu den meist gestellten Fragen:

Multiresistente Keime im Gewässer

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Was haben die stichprobenartigen Gewässeruntersuchungen im Kreis Viersen ergeben?

 Ein erschreckendes Ergebnis. Alle drei Proben aus der Nette sind mit multiresistenten Coli-Bakterien belastet, die sich gegen drei von vier äußerst wertvollen Reserve-Antibiotika als resistent erwiesen haben. Das ist der klassische Fall von medizinisch definierter Multi-Resistenz. Darüber hinaus wurden weitere Resistenzen (bis zu sieben) gegenüber anderen konventionellen Antibiotika wie Ampicillin und Cefuroxim festgestellt. 

Welche Auswirkungen haben die multiresistenten Keime in der Nette? Vor allem auf das Grundwasser und uns Menschen.

Das gefährliche besteht eben darin, das keine unmittelbaren Gefahren für uns erkennbar sind. Das Grundwasser ist normalerweise durch meterhohe Bodenschichten, die das versickernde Wasser filtern und die Keime zurückhalten geschützt. Je nach Qualität der Bodenschichten, die unterschiedlich wirksam sein können und je nachdem, wie lange und intensiv die Belastung anhält können die Keime aber doch in das Grundwasser gelangen. Es muss daher untersucht werden, ob hier Keime durchgedrungen sind.

Gleiches gilt für das Trinkwasser, dass aus Grundwasser durch Aufbereitung gewonnen wird. Erst recht für Trinkwasser, das direkt oder indirekt aus Oberflächenwasser wie z.B. an der Ruhr gewonnen wird.  

Multiresistente Keime sind einerseits nicht krankmachender als die ursprünglichen, nicht resistenten Keime. Wenn aber (auch bisher schon) krankmachende Keime wie Staphylokokken, bestimmte Coli-Bakterien oder Pseudomonaden diese Resistenzen erworben haben und  Menschen hieran erkranken, ist eine Antibiotika-Therapie nicht mehr wirksam – mit ungewissem, evtl. tödlichem Ausgang!  

Inwiefern spielt der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung eine Rolle? Was würde die Reduzierung bewirken?

Bis 2011 (Start der deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie, DART) sind Antibiotika in der (Massen-)Tierhaltung auch massenhaft eingesetzt worden, sowohl prophylaktisch (vorbeugend, ohne konkreten Anlass) aber auch als Wachstumsbeschleuniger. Und grundsätzlich wurde (wird teilweise immer noch!) die gesamte – immer größer werdende Herde – mit behandelt, wenn ein Tier erkrankt war oder ist. In der Geflügelhaltung wurde - und wird teilweise heute noch – dem Tränkewasser Antibiotika zugesetzt um diese Effekte (Vorbeugung und Wachstumsbeschleunigung) zu bewirken.

Dies führte zu extrem überhöhtem Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin, bis zu 1.700 t pro Jahr gegenüber 800 t in der Humanmedizin.

Eine Reduzierung hat seit 2011 stattgefunden, statt über 1.500 t noch 2012 werden aktuell noch ca. 800 t in der Tierhaltung eingesetzt gegenüber 750 t in der Humanmedizin. Das ist immer noch zu viel, weniger wäre möglich, wenn insgesamt weniger Nutztiere, diese aber artgerechter, mit mehr Auslauf und auf mehr Fläche gehalten würden.  Dies würde die Tiergesundheit verbessern, noch deutlich weniger Antibiotikaeinsatz wäre möglich und die Resistenzbeförderung würde gemildert. Aber nie ganz, da es sich um natürliche Ausleseprozesse handelt.   

Warum war der Befund in Dülken am stärksten?

Das lässt sich nicht exakt beweisen, aber erklären. Es ist auffallend, dass das Wasser der Nette bereits vor dem Zulauf des Abwassers der Kläranlage Dülken hoch – und sogar höher – mit multiresistenten Keimen belastet ist. Konkret liegen dort 10 Resistenzen vor, während hinter der Kläranlage, nach dem Zulauf des behandelten Abwassers, „nur“ sieben Resistenzen nachgewiesen wurden.

Das Spektrum der identifizierten Keime ist etwas unterschiedlich, es zeigt sich der Kläranlageneinfluss. Bedenklich ist, das es vor der Kläranlage in der Vergangenheit immer wieder unmittelbare Abwassereinleitungen gab, auf Grund des Überlaufens der Kanalisation und eines noch nicht funktionierenden Regenrückhaltebeckens.

Und es gibt sicher Einflüsse des intensiv landwirtschaftlich genutzten Umfeldes vor dem Kläranlagenzulauf. Dort befindet sich z.B. ein Schweinemaststall, dessen Gülle rundherum aufgebracht wird und es befindet sich dort eine Versickerungsanlage für Niederschlagswasser, in der, wie BUND-Untersuchungen nachgewiesen haben, nur leicht verdünnte Gülle in das zur Nette hin abfließende Grundwasser eingeleitet wurde. Wir haben allen Grund anzunehmen, dass dies zu den deutlich schlechteren Ergebnissen in der Nette in Dülken, vor der Kläranlage (!) beigetragen hat.   

Wenn die Art der Tierhaltung entscheidend für die Antibiotika-Resistenzen sind, welche Rolle spielen dann die Kläranlagen? Nehmen diese keinen Einfluss auf die Antibiotika-Resistenzen?

 Auch Kläranlagen spielen selbstverständlich eine Rolle, v.a. wenn in ihrem Einzugsgebiet große Kliniken vorhanden sind, in denen eine große Anzahl von Patienten stationär mit Antibiotika behandelt wird. Dieses Abwasser trägt eindeutig zur Bildung von Resistenzen bei und müsste daher separat behandelt, d.h. sterilisiert werden, was nur in wenigen Fällen geschieht. Aber auch das Abwasser aus Haushalten ist nicht frei von Antibiotika und selbstverständlich auch nicht frei von Keimen. Es ist sogar so, dass 85 Prozent der Antibiotikabehandlung ambulant, zu Hause stattfindet, dieses Abwasser aber stärker verdünnt abgegeben wird. Es ist einfach eine Frage der Größe des Einzugsgebietes und der Struktur, aber auch der Gewässergröße (Wasserführung), welche Einflüsse (Kliniken oder Landwirtschaft) überwiegen. Welche Einflüsse im Falle Viersen-Dülken überwiegen, seien es die diffusen Einflüsse aus der Landwirtschaft (Zuflüsse von belasteten, begüllten Flächen) in die Nette oder Abwassereinflüsse, muss gezielt untersucht werden. In jedem Fall gibt es unbedingte Handlungsnotwendigkeit.  

Was fordert der BUND? Wie wollen Sie das Problem beheben?

 Generell muss der Grundsatz gelten: Antibiotika nur dann einsetzen, wenn sie wirklich vonnöten sind! Sinngemäß gilt dies für Human- und Tiermedizin. Bei den Nutztieren sind die Haltungsbedingungen oft so widernatürlich, dass die Tiergesundheit leidet, Infektionen vorprogrammiert sind und gleich den ganzen, großen Bestand treffen, der dann immer noch insgesamt behandelt wird. Daher ist die Hauptforderung des BUND, dass die Haltungsbedingungen artgerechter werden, (siehe auch Antwort oben), d.h. mehr Weidegang und Auslauf ermöglicht werden. Die Tierbestände müssen verringert (abgestockt) und an die vorhandene Fläche angepasst werden. Auf dem Weg dahin gibt es weitere Möglichkeiten wie die Erstellung von Analysen, ob bereits Antibiotikaresistenzen vorliegen (Antibiogramme), vor jeder Antibiotikaanwendung verpflichtend vorzuschreiben oder das Verbot der Gewährung von Mengenrabatten an die Tierärzte für den Verkauf von Medikamenten sowie das klare verbot der Anwendung von für Menschen besonders wichtigen Reserveantibiotika für Nutztiere. 

Zukunftsausblick: Was würde passieren, wenn die Reserveantibiotika für Nutztiere nicht verboten werden?

Wenn weiter Reserveantibiotika im bisherigen Ausmaß bei Nutztieren eingesetzt werden und die sich abzeichnende Entwicklung von Multiresistenzen  im bisherigen Umfang fortsetzt,  besteht die Gefahr, dass in ca. 10 bis 20 Jahren eine umfassende Resistenz vorhanden ist und Infektionen nicht mehr sicher therapiert werden können. Dieses düstere Szenario beinhaltet, dass statt bisher ca. 15.000 Menschen in Deutschland und ca. 90.000 in Europa pro Jahr wohl mehrere Millionen Menschen an Infektionen bei der geringsten Komplikation sterben würden, mit erheblichen Folgen für die westliche Ökonomie und Zivilisation. Diese Prognose ist nicht unrealistisch, weil die Entwicklung neuer Wirkstoffe extrem schwierig ist, aber auch aus Kostengründen vernachlässigt wird und stagniert. So sind in den letzten 30 Jahren nur zwei neue Wirkstoffe entwickelt worden, gegen die sich aber ebenfalls Resistenzen zeigen. Daher muss dringend umgesteuert werden, sowohl beim Umgang mit den noch wirksamen Wirkstoffen als auch bei der Entwicklung alternativer Wirkstoffe und Behandlungsmethoden.  

Wenn die Tierquälerei zurückschlägt: Unser investigatives Huhn berichtet aus der Tierfabrik ... 

... und zeigt auf, wie der massenhafte Einsatz von Antibiotika auch den Menschen das Leben kostet: durch multiresistente Keime. Ein Grauen erzeugt im Grauen...  

Ansprechpartner

Paul Kröfges

BUND-Gewässerschutzexperte
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BUND weist multiresistente Keime in Gewässern nach

25.05.2018 | Stichprobenartige Gewässeruntersuchungen des nordrhein-westfälischen Landesverbandes des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in den Kreisen Borken und Viersen haben in allen Fällen den Nachweis multiresistenter Keime erbracht. Der Umweltverband sieht einen klaren Zusammenhang mit der dort praktizierten Intensivtierhaltung.  Im direkten Vergleich sind die Wasserproben aus den beiden Kreisen stärker und deutlich breiter mit antibiotikaresistenten Erregern durchsetzt als die aus der Ruhr. Hier hatte unlängst der WDR eigene Untersuchungen veröffentlicht. Der Umweltverband fordert die Landesregierung auf, landesweite Untersuchungen zu veranlassen und das Problem an der Wurzel anzugehen. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung müsse weiter reduziert werden. 

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