BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen

Wildnisentwicklung mit großen Weidetieren?

27. Oktober 2017 | Tiere und Pflanzen, Naturschutz, Lebensräume

Fachtagung von NUA und BUND in der Senne tauscht Erfahrungen aus und diskutiert Perspektiven für eine "Sennegeti".

 (Adalbert Niemeyer-Lüllwitz)

Bei der Pflege von Kulturlandschaften, aber auch für die Entwicklung von Wildnis können große Weidetiere wirksam helfen. Besonders auf großen Flächen lassen sich damit effizient und nachhaltig Naturschutzziele erreichen. Das ist Ergebnis einer Fachtagung, zu der im September NUA, BUND, Biologische Station Paderborn-Senne und Bundesforstbetrieb Rhein-Weser nach Paderborn eingeladen hatten. Zwei Tage haben hier Referenten aus ganz Deutschland mit über 50 Teilnehmenden den Einsatz von Weidetieren im Naturschutz erörtert.

Holger Sticht wies in seiner Einführung für den BUND auf die große Bedeutung von Weidetieren im Naturschutz hin. "Große Pflanzenfresser fehlen an allen Ecken unserer Landschaft", so Holger Sticht, "wir brauchen ihre Fraßleistung, ihren Tritt, ihren Kot". Dr. Margret Bunzel-Drüke (ABU Soest) machte in ihrem Vortrag deutlich, dass große Pflanzenfresser in der Landschaftsgeschichte Mitteleuropas schon immer eine Rolle gespielt haben. Naturlandschaft in Deutschland könne man sich als abwechslungsreiche Parklandschaft vorstellen. Naturschutz und Wildnisentwicklung müsse heute nicht bedeuten, alle Flächen der Sukzession zu überlassen. Die Rolle der ausgerotteten großen Pflanzenfresser könnten heute neben Wildtieren wie dem Wisent und dem Rothirsch auch vom Menschen gezüchtete Rinder und Pferde übernehmen, so wie es seit 1991 auf großen Flächen der Lippeaue erfolgreich gezeigt wird.

Ein "Krüger Nationalpark II" mit großen Weidetieren in Deutschland?

Edgar Reisinger vom Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Thüringen stellte die Chancen von Weidelandschaften für Naturschutz und Naturerlebnis heraus. Es gibt in Deutschland eine Vielzahl erfolgreicher Beweidungsprojekte auf eher kleinen Flächen. Aus seiner Sicht muss man auf Grundlage dieser positiven Erfahrungen jetzt großflächiger denken und planen. "Wir brauchen in Deutschland einen "Krüger-Nationalpark II", in dem auf großer Fläche das Gestaltungspotenzial großer Weidetiere wirken kann", so Edgar Reisinger. Er sieht darin ein wegweisendes Vorhaben, mit dem es gelingen könne, eine großflächige Restauration von Ökosystemen einschließlich ihrer ursprünglichen Besiedlung mit großen Wildtieren zu erreichen. Voraussetzung für ein solches Großprojekt mit einem Einsatz des vollständigen und ursprünglichen Artenspektrums von großen Pflanzenfressern in Europa ist nach seiner Einschätzung eine Flächengröße von mindestens 4.000 Hektar. Solche Rahmenbedingungen sind auf einigen ehemaligen Truppenübungsplätzen gegeben (also nach einem Truppenabzug auch in der Senne). Ein solches Projekt könne sowohl ein Gewinn für den Naturschutz wie für das Naturerlebnis und die Regionalentwicklung sein.

Beweidungsprojekte auf DBU-Naturerbeflächen

Dass es in Deutschland auf sehr vielen kleinen Flächen schon positive Erfahrungen mit großen Weidetieren gibt veranschaulichte Jörg E. Tillmann (DBU) am Beispiel der DBU-Naturerbeflächen. Insgesamt betreut die DBU Naturerbe GmbH in Zusammenarbeit mit Partnern ca. 69.000 Hektar, die ins "Nationale Naturerbe" aufgenommen wurden. Ca. 81 Prozent der Flächen sind bewaldet. Hier wird als Naturschutzstrategie eine natürliche Entwicklung im Sinne des Prozessschutzes verfolgt. Auf den übrigen 19 Prozent der Fläche spielt Beweidung zum Erhalt der wertvollen Offenland-Biotope eine wichtige Rolle. Beim Management von 90 Prozent des Offenlandes auf den Naturerbeflächen werden Weidetiere eingesetzt. Insgesamt gibt es auf den Naturerbeflächen ca. 200 Beweidungsprojekte auf 115 Weideflächen, die im Mittel 56 Hektar groß sind.

Döberitzer Heide und Goitsche Wildnis

Peter Nitschke (Heinz Sielmann Stiftung) stellte das Beweidungsprojekt in der Döberitzer Heide vor. Das ca. 3.650 ha große Gebiet westlich von Berlin wurde nach Aufgabe der militärischen Nutzung von der Heinz Sielmann Stiftung übernommen. Mit einem groß angelegten Wildnis-Projekt werden mehre Ziele verfolgt. Die strukturelle Vielfalt zum Schutz seltener Pflanzen und Tiere soll insbesondere durch Beweidung erhalten werden. Eine Herausforderung im Gebiet sind die militärischen Altlasten. Deshalb sieht das Konzept die Sicherung einer eingezäunten großen Wildniskernzone wie dem Wisent vor, die von Besuchern nicht frei betreten werden kann. Dieses Gebiet wird umgeben durch eine Naturerlebniszone als Ringzone mit Rundwanderwegen, Rast- und Aussichtspunkten sowie Informationsangeboten. Die Wildniskernzone wird mit WildtierenWisenten und Przewalski-Pferden beweidet. Intensive Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit mit Führungen und Veranstaltungen begleiten das sehr erfolgreiche Projekt.

Im Unterschied zu diesem ehemals militärisch genutzten Gebiet handelt es sich bei der "Goitschen Wildnis" bei Bitterfeld um eine Bergbaufolgelandschaft, über die Falko Heidecke, Projektleiter der BUNDstiftung, berichtete. Ziel ist es hier, ein strukturreiches Wildnisgebiet "aus zweiter Hand" zu entwickeln, in dem große Weidetiere allerdings (noch?) keine Rolle spielen. Im Sinne des Wildnisgedankens sind auf der Fläche Fischerei und Jagd eingestellt worden. Dass in einem Schutzgebiet von dieser Größe die Jagd komplett ruht, ist in Deutschland durchaus noch ungewöhnlich. Mit Öffentlichkeitsarbeit gelang es, sowohl eine breite Akzeptanz zu erreichen, als auch Spender zu mobilisieren. Die Wildnisentwicklung wird durch ehrenamtliches Monitoring begleitet. Maßgeblich mitgetragen wird die Arbeit durch eine Aktiven-Gruppe von 40 Personen der BUND-Kreisgruppe.

Große Weidetiere in der Senne

Beweidung mit Wildtieren wie Rehen, Dam- und Rothirschen sowie mit Schafen trägt aktuell zur Offenhaltung der wertvollen Heidelandschaft auf dem Truppenübungsplatz Senne bei. Rinder und Pferde kommen hier aufgrund der militärischen Nutzung nicht für eine Beweidung in Frage. Aber auf Naturschutzflächen außerhalb des Platzes wird heute schon gezeigt, wie möglicherweise künftig auch Teile des über 10.000 ha großen Truppenübungsplatzes offen gehalten werden könnten.

In der Senne konnten die Teilnehmenden im Rahmen einer Exkursion am zweiten Tagungstag zwei bemerkenswerte Beweidungsprojekte kennen lernen. So wird in der Moosheide am Rande des Truppenübungsplatzes seit 2000 ein Beweidungsprojekt mit dem Senner Pferd durchgeführt. Zur Erhaltung der Senne als wertvollstem Naturraum in Nordrhein-Westfalen ist Beweidung eine zentrale Maßnahme. Durch Beweidung wird ein reiches Strukturmosaik mit vielen Habitaten geschaffen. Pferde schaffen Lebensräume für Arten, die an Störstellen angepasst sind und eine kontinuierliche Dynamik benötigen. Auf einer Versuchsfläche von 20 Hektar wird aktuell eine Herde von fünf bis acht Tieren eingesetzt. Die Tagungsteilnehmer konnten sich bei der Exkursion davon überzeugen, dass es mit dieser Herde gelingt, eine halboffene, artenreiche Weidelandschaft zu entwickeln und zu erhalten. Beweidung mit dem Senner Pferd ist also auch auf größeren Flächen vorstellbar, durchaus also auch auf dem Truppenübungsplatz.

Im Bereich des Naturschutzgroßprojektes Senne und Teutoburger Wald bei Oerlinghausen werden überwiegend bewaldete Flächen großflächig mit Rindern, Pferden, Schafen und Ziegen beweidet. Jeweils auf Teilflächen sollen hier eine gelenkte naturnahe und auch natürliche Entwicklung sowie der Erhalt einer historischen Kulturlandschaft erreicht werden. Was durch großflächige Beweidung in Sandlandschaften möglich ist zeigte Daniel Lühr mit Bildern aus dem Veluwezoom-Nationalpark (Niederlande). Zur Erhaltung des halboffenen Charakters der Landschaft wird hier auf über 6000 ha ein Beweidungsmanagement mit Islandpferden und Schottischen Hochlandrindern durchgeführt. In diesem Gebiet lässt sich, so Daniel Lühr, mit allen Sinnen erfahren, welche Perspektiven und Möglichkeiten langfristig in einem Großschutzgebiet Senne bzw. einer "Sennegeti" – wie Daniel Lühr seine Vision nennt - bestehen könnten.

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